Russische Front 1942: Eine Idylle?

  • Hallo zusammen,


    sorry, die Betreffzeile ist arg an der Clickbait-Grenze! Aber beschreibt in Extrem dennoch meine Frage.


    Ich versuche, Alltag/Leben meines Vaters (1986 verstorben) zu rekonstruieren während er 1942/1943 an der russischen Front war. Es geht mir vor allem um seine Aufgabe, um seinen Alltag, was sich anhand Erzählungen und Briefen nicht klar sagen lässt.


    Kartograph?

    Er zeichnete Landkarten des "Feindgebietes", war er also Kartograph?


    Russische Dörfer malen:

    Er sollte auch kleine Dörfer der Russen (zb. ein Dorf namens Ashkovo), die sie eingenommen hatten, zeichnen. Er schreibt in einem Brief an seine erste Frau: "Morgen beginne ich die eigentliche Arbeit, zuerst in Sepia, dann in Wasserfarben. Der Hauptmann muss mir erst Papier besorgen. Der Hauptmann will nämlich alle beiden Mühlen draufhaben auf dem Bild." (die eine Mühle siehe unten). War das für Offiziere als Erinnerung? Oder hatte das einen "Kriegs-Sinn"?


    1.png


    Offiziers-Portraits:

    Er malte ebenfalls Portraits von Offizieren für deren Frauen daheim. Meine Mutter meinte mal, dass er aufgrund seines malerischen Könnens verschont blieb von manchem Frontkampf. Aber sowas lässt sich ja auch nicht ohne Begründung durchkriegen, also was könnte sein offizieller "Sinn" gewesen sein?


    Russland: Idylle?

    Das was er an Briefen schrieb, erscheint sehr idyllisch. Er spaziert durch die Natur und malt (weiteres Beispiel siehe unten). Sehr wahrscheinlich, dass er die Schrecken des Krieges nicht in die Feldpost packen wollte/konnte, aber dennoch. Ich lese das hier aus einem seiner Briefe: "Eben hat sichs entschieden, dass wir noch 2 Tage in Ruhe hier bleiben. Das ist herrlich. Ich hab noch viel zu tun; soll möglichst die beiden Portraits unserer Offiziere fertig bekommen. Es ist so herrlich warm und überall schiesst das Grün hervor." Und es gibt weitere solche Briefe, welche beschreiben wie er in einem Haus sitzt und die gegenüber liegende Mühle malt usw... Das klingt mir nicht nach russischer Front 1942, war es aber.


    Screen Shot 2021-03-09 at 15.24.19.png


    Was könnten die Umstände sein? Ich weiss, dass er Beförderungen abgelehnt hat. Er war also nicht ranghoch.


    Ich erwarte nicht, dass mir jetzt die Warheit über meinen Vater offenbart wird :) Ich würde mich aber sehr über Vermutungen, Möglichkeiten, Gedanken eurerseits freuen!


    Quelle: Eigentum


    1.000 Dank und alles Gute

    J

  • Hallo ananas und willkommen im Forum,


    erst einmal danke für das Einstellen und Teilen der Bilder und Gedanken deines Vaters. Auch das ist ein Teil des Ganzen und zeichnet (wie passend) den Alltag eines Soldaten nach.

    An der Stelle eine Anmerkung. Bei Einstellen von Bildmaterial oder Dokumenten, bitte immer eine Quelle angeben. Ich habe dies für dich hier schon erledigt.


    Was das Thema als solches Angeht, sind hier nur äußerst sperrliche Information zu erhalten.

    An sich ist es leichter mit Bildern oder Dokumenten (wie Urkunden, Beförderungen, etc.) von dem jeweiligen Soldaten zu arbeiten. Vielleicht magst du uns, gegebenfalls in einem separaten Beitrag, die Zahlen und Fakten zu deinem Vater nennen. Damit können wir zu mindest einen Weg seiner Einheit oder Schauplätze an denen er eventuell war, versuchen nachzugehen.

    Ansonsten bleibt immer noch für harte Zahlen und Fakten die Anfrage bei der WASt.

    Aber ich bin gespannt, was hier noch zu Tage kommt.


    Horrido


    Daniel

    Suche Infos über die Eisenbahnpioniere und die Eisenbahnentseuchungszüge.

  • Hallo J/Ananas,


    zu den Briefen deines Vaters und deiner Beobachtung ("Das was er an Briefen schrieb, erscheint sehr idyllisch.") Das ist typisch für Feldpostbriefe. In einem wesentlichen Teil der Millarden (!) von Feldpostsendungen in die Heimat "kommt der Krieg" oftmals gar nicht vor. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Wenn du mehr zu dem Aspekt Feldpost (Charakter/Psyche, Selbstzensur, Perzeption, Alltag usw.) im Allgemeinen wissen möchtest (aber auch für Rückschlüsse zu deinem Vater wichtig), empfehle ich dir die Lektüre der einschlägigen Forschungsliteratur.


    Liebe Grüße,


    KH22


    PS: Daniels Bitte/Anfrage ("Vielleicht magst du uns, gegebenfalls in einem separaten Beitrag, die Zahlen und Fakten zu deinem Vater nennen.") möchte ich mich gerne anschließen! Insbesondere Name und Einheit wäre eine große Hilfe.

  • Hey Daniel,


    Zahlen und Fakten sind recht gering. Ich hab einen alten Feldpost-Umschlag, der was besagen könnten:


    Feldpost vom 14.10.42.

    Nummer: 22749

    Gefreiter


    Aber ich befürchte, dass damit (und auch mit weiteren harten Fakten und Zahlen) nicht klarer wird, was seine Rolle hinsichtlich des Zeichnens war, oder?


    Liebe Grüße

    Johannes

  • Hey KH22,


    ja es macht Sinn, was du schreibst und ist nachvollziehbar (Inhalte der Briefe).


    Ich hab in meiner Antwort zu Daniel die Nummer einer Feldpost geschrieben. Was mich eben speziell interessiert ist der Zeichnen-/Malen-Aspekt und in welchem Verhältnis dass zu Kriegsaufgabe gehörte usw. Und ich befürchte, dass krieg ich nicht raus über ne Feldpostnummer. Was ich unterbewusst wahrscheinlich will ist, mit Augenzeugen zu sprechen, Zeitmaschine bitte schön! :) Schwierig, schwierig. Mit ca. 96 Jahren im Jahr 2021 wird kaum jemand in nem Wehrmachts-Forum herumwandern :((


    Beste Grüße

    Johannes

  • Hallo Johannes,


    danke für deine Rückmeldung. Ich verstehe dein Anliegen sehr genau. Mit deiner Intention bist du nicht alleine.

    Für die Feldpostnummer 22749 habe ich diese Einehit gefunden:

    (Mobilmachung-1.1.1940) Nachschub-Kompanie 35


    Also war dein Vater im Rahmen der 35. infanteriedivision eingesetzt.


    http://www.lexikon-der-wehrmac…nteriedivisionen/35ID.htm


    http://www.lexikon-der-wehrmac…eiten/IDEinheiten35-R.htm


    Vielleicht kannst du damit etwas anfangen und es hilft etwas weiter.


    Zur Einheit selber, Nachschubeinheiten (und das ist alles groß erläutert) gehören zur rückwärtigen Truppe. Also nicht unmittelbar im Kampfbereich eingesetzt und an Kampfhandlungen beteiligt.

    Es gibt unzählige Möglichkeiten warum ein Soldat die Zeit hatte andere Dinge zu tun als zu kämpfen. Ruhephasen, Stabsarbeit, Schreibkräfte, Nachrichtentruppe, etc.

    Was deinen Vater betrifft, kann ich mir vorstellen, dass er vielleicht Lagekarten gefertigt hat, oder diese mit Zeichnungen bearbeitet hat. Respektive kann er ja auch ein sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis zu einem höheren Offizier gehabt haben. Dieser könnte ihn protegiert haben und aus den gröbsten Situationen heraus gehalten haben. Aber das sind alles nur Mutmaßungen. Möglichkeiten und Schicksale für diverse Szenarien sind zu allem denkbar, wie ein Mosaik.


    Horrido


    Daniel

    Suche Infos über die Eisenbahnpioniere und die Eisenbahnentseuchungszüge.

  • Noch eine Frage hinterher-geschossen: Ich recherchiere hinsichtlich meines Vaters auch im Hinblick auf eine Geschichte, die ich schreiben will. Meinst du, dass eine zukünftige Frage wie "in meiner Geschichte passiert XYZ, könnte sich das so zugetragen haben?" Sinn macht in diesem Forum? Weil es hier Menschen gibt, die sich tiefgehend mit dem Alltags-Geschehen an der Front auseinandergesetzt haben (also mehr als ich, indem ich 2-3 Bücher lese) oder hab ich mich verirrt? :-))


    Hallo Daniel, was du schreibst ist super hilfreich! Woohooooo! 1.000 Dank...werde ich jetzt erstmal Stück für Stück lesen/verstehen!


    Liebe Grüße

    Johannes

    Einmal editiert, zuletzt von ananas () aus folgendem Grund: Ein Beitrag von ananas mit diesem Beitrag zusammengefügt.

  • Hallo Johannes,


    zu der Frage ob es Sinn macht oder du dich verirrt hast, so würde ich dies persönlich mit einem Ja zum Sinn und einem Nein zu Verirrung beantworten.

    Falls du Fragen in diesem Themengebiet hast, so würde ich dich bitten dies gesondern zu behandeln und dazu einen neuen Themenstrang in dem entsprechenden Bereich zu eröffnen. Alles weitere können wir dann dort erörtern.


    Horrido


    Daniel


    P.S.: bitte immer eine Gruß- und Abschiedsformel verwenden

    Suche Infos über die Eisenbahnpioniere und die Eisenbahnentseuchungszüge.

  • Hey Daniel,


    super, das freut mich! Und so werde ich es handhaben!


    Ahoi und Gruß

    Johannes

  • Was mich eben speziell interessiert ist der Zeichnen-/Malen-Aspekt und in welchem Verhältnis dass zu Kriegsaufgabe gehörte usw.

    Hallo Johannes


    schön, dass du dich meldest und uns die FP-Nr. mitgeteilt hast.


    Zu dem zitierten Aspekt: Ich bin nicht selten während meiner Studien und Recherchen auf ähnliche Fälle wie deinem Vater gestoßen. Sie hatten einfach ein Talent bzw. entdeckten das Malen/Zeichnen als Beschäftigung ("Hobby"). Das fiel anderen Kameraden auf und sie baten um ein handgeschaffenens Erinnerungsporträt oder es diente einfach der Erbauung hdF oder als Mitbringsel für die Ehefrau adHf.


    Die Feldpostnummer gehörte zur Nachschub-Kompanie 35 (Mobilmachung-1.1.1940) [übliche Schreibweise Nachschubkompanie]. Aber danach wird es schwierig ...Ich bin kein Experte für die Organisationsgeschichte der Divisionen usw. Aber offenbar deutet die arabische Ziffer auf die Zugehörigkeit zur Division hin. Eindeutig belegbar für die Nachschubkompanie 15 (-> 15 Division). Das würde bedeuten, dass dein Vater, sofern er nicht versetzt wurde und immer noch der Nachschubkompanie 35 angehörte, Teil der 35. ID war. Die befand sich 1942 im Raum Smolensk! Und jetzt kommts: Der Ort Ashkovo liegt nördlich von Gshats, dem Gefechtsstand (?) der 35. ID.


    Dann zu "Er zeichnete Landkarten des "Feindgebietes", war er also Kartograph?" Meinst du Landkarten wie diese hier (http://www.lexikon-der-wehrmac…en/Korps/Karte/IX0342.jpg) oder eher Skizzen?


    "War das für Offiziere als Erinnerung?" Bei der Art und Weise, wie die Mühle dargestellt wurde, erkenne ich da keinen operativen Mehrwert, weshalb ich eher deiner Vermutung zustimme, dass es sich um ein Andenken handeln könnte. Wenns hochkommt, dienten die Bilder zur Illustration bei einer Einweisung durch die Führer.


    Ich hoffe, ich konnte dir ein wenig mehr Klarheit zu deinem Anliegen verschaffen.


    Liebe Grüße,


    KH22



    Nahhh, da tippe ich mir einen Wolf ab und Daniel war schneller^^ Aber schön, dass dadurch meine Vermutung bestätig wurde.


    Gruß,


    KH22

  • Hallo KH22,


    danke dir für deinen Input!!


    Die Askovo-Thematik: ich hab die Orte gerade mal gegooglet und sie liegen ja wirklich sehr dicht beinander. Aber was besagt das? Verstehe ich es richtig, dass dies heissen könnte, dass mein Vater eben eine Zeitlang in dem kleinen Örtchen Ashkovo war um Nicht-Kämpferisches (z.B. Lagekarten fertigen/anpassen) zu tun, während der Krieg dicht bei in Gshats (was wohl jetzt Gagarin heisst) abging?


    Oh und zu der Lage direkt eine Frage, die eher auf meine Story abzielt: wieviele Personen (Deutsche) mögen da wohl in so nem Dörfchen dann gewesen sein? Ist eine Zahl von 10-15 utopisch? Ich will möglichst wenige in der Geschichte rumschwirren lassen :-))


    Zu "Karten Zeichnen": Keene Ahnung und auch keine Möglichlichkeit, mehr rauszufinden aus alten Unterlagen, die mir vorliegen :( Aber er würde ja so eine Karte, wie du sie beispielhaft als Link dabei hattest, nicht selbst von Null zeichnen oder? Das ist ja krasse Minimal-Arbeit. Wohl eher bestehende Karten nehmen und einzeichnen wie die Fronten liegen oder sowas?


    Beste Grüße

    Johannes

  • Hallo Johannes,


    hast du schon mal einen Antrag beim Bundesarchiv für die Wehrmachtszeit deines Vaters gestellt? Wenn nicht solltest du das unbedingt nachholen. Dort könnten lohnende Informationen auf dich warten. Immer Vorausgesetzt die Karteikarten gingen nicht verloren.


    Gruß

    Antje

    Ich suche Informationen über das:
    Kriegslazarett in Bromberg Zeitraum Januar - Ende Februar 1942 und das
    Kriegslazarett Königsberg Januar 1943. :whistling:

  • Hallo Antje,


    nee, noch nicht. Danke für den Tipp!


    Gruß

    Johannes

  • Hallo Johannes,


    Gern geschehen! Hier die entsprechenden links dazu.


    Bundesarchiv, Formulare Benutzungsantrag und Rechercheantrag ausfüllen, Personalausweis kopieren und alles abschicken. :)


    Bearbeitungszeit bis zu 2. Jahren!


    War dein Vater in Kriegsgefangenschaft?


    LG

    Antje

    Ich suche Informationen über das:
    Kriegslazarett in Bromberg Zeitraum Januar - Ende Februar 1942 und das
    Kriegslazarett Königsberg Januar 1943. :whistling:

  • Hallo Antje,


    danke! Wow! 2 Jahre :-)))))


    Yep: er war in Frankreich in Kriegsgefangenschaft.


    Beste Grüße

    Johannes

  • Hallo Johannes,


    wenn dein Vater in franz. Kriegsgefangenschaft war, lohnt es sich im Stadtarchiv seines Heimatortes mal nachzufragen, ob es dort Unterlagen zu ihm gibt. Es gab das sogenannte Kriegsentschädigungsgesetz und das wurde bei der Stadt beantragt. Dort stehen dann auch Informationen wie die letzte Wehrmachtseinheit, und die Camps in denen er in Gefangenschaft war Zumindest ist das eine Möglichkeit an Informationen zu kommen und eine Wartezeit zu überbrücken. :)


    Gruß

    Antje

    Ich suche Informationen über das:
    Kriegslazarett in Bromberg Zeitraum Januar - Ende Februar 1942 und das
    Kriegslazarett Königsberg Januar 1943. :whistling:

  • Hey Antje,


    vielen Dank! Das klingt sehr spannend!!


    Gruß

    Johannes