Die »verlor'nen Haufen«
Sondertruppen zur Frontbewährung im 2. Weltkrieg
Ein Beitrag zu ihrer Geschichte
Quelle/Autor: Horst Voigt, Major d. Res. a.D. (†), in DSJB 1980 - 1998, Schild-Verlag München
Abschrift/Zusammenstellung & Bearbeitung:
2010-3-12 by UHF51
Diese Abschrift wurde ausschließlich für die private militärgeschichtliche Forschung erstellt.
Eine nicht autorisierte Weitergabe, Vervielfältigung/Kopie (auch auszugsweisen) Veröffentlichung im Medium Internet
wird hiermit - aus urheberrechtlichen Gründen - ausdrücklich nicht gestattet.
Teil I
Das Funktionieren einer Streitmacht beruht seit eh und je auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. Eiserne Disziplin der Truppe ist das Fundament jedweder soldatischer Ordnung als Voraussetzung für den militärischen Erfolg der obersten politischen Führung. Das gilt nicht weniger auch für die Streitkräfte moderner Demokratien. Die deutsche Soldatensprache kennt den nur in diesem Zusammenhang gebräuchlichen Begriff Manneszucht.
Nach Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht im Deutschen Reich wurden auch militärische Erziehungs- und Strafeinrichtungen geschaffen. Mit Verfügung des Reichskriegsministers und Oberbefehlshaber der Wehrmacht vom 07. August 1937 wurde die Ermächtigung zur Aufstellung von Sonderabteilungen für Heer, Kriegsmarine und Luftwaffe erteilt. Diese waren wohlgemerkt, Erziehungs-, und keine Strafeinrichtungen. Die Versetzung in diese erfolgte in der Regel erst dann, wenn alle erzieherischen und disziplinarischen Maßnahmen in der Truppe erschöpft waren. Die Dienstgradherabsetzung/Degradierung war bei Mannschaften vor ihrer Versetzung die Regel. Hierzu gehörten u.a. charakterlich minderwertige Soldaten, deren Verbleiben in der Truppe eine Gefährdung für die Manneszucht bedeutete. Dazu kamen Wehrpflichtige, die dem Gestellungsbefehl vorsätzlich nicht Folge leisteten und nach ihrer Ergreifung zwangsweise dem Truppenteil zugeführt werden mussten. Auch Soldaten, die wegen unehrenhafter Handlung gerichtlich bestraft wurden und deren Weiter- oder Nachdienen in der Truppe aus dienstlichen wie auch disziplinären Gründen unerwünscht war, sowie Selbstverstümmler gehörten dazu. Die Versetzung in eine Sonderabteilung galt als schimpflich. Nach 3 Monaten einwandfreier Führung konnte jedoch die Versetzung bzw. Rückversetzung aus der Sonder-Abt. in die Truppe verfügt werden. Wer sich allen Erziehungsmaßnahmen widersetzte, konnte aus dem aktiven Wehrdienst in die Ersatz-Reserve II rückversetzt werden. Für die Zeit, die noch zur Erfüllung des aktiven Dienstes Wehrdienst zu leisten war, im Kriege jedoch für Kriegsdauer, erfolgte die Überstellung in den Gewahrsam der Polizei, was gleichbedeutend war mit Verwahrung in einem Konzentrationslager [KL/KZ].
Der Dienst in der Sonder-Abt. war in der D 73 und entsprechenden Dienstvorschriften - H.Dv. 39 - geregelt. Die Unterbringung erfolgte in Baracken.
Als Vorgesetzter war das Stammpersonal ab Korporalschaftsführer nach bestimmten Kriterien ausgewählt worden. Die Führung einer Sonder-Abt. war einem Offizier mindestens im Range eines Hauptmanns vorbehalten, der für den gesamten Dienstbetrieb verantwortlich war.
Bei Mobilmachung 1939 wurden die Sonderabteilungen des Heeres aufgelöst. Das Heer hatte im Frieden über Sonder-Abt. für je 2 - 3 Wehrkreise verfügt. Noch 1939 wurden auf verschiedenen Tr.Üb.Pl. 6 Sonderabteilungen des Ersatzheeres als Erziehungseinrichtungen neu aufgestellt. Die Dienstzeit betrug 4 Monate. Die Abteilungsführer konnten die Versetzung oder Rückversetzung zur Truppe bei besonders guter Führung schon nach 3 Monaten verfügen. Für das Feldheer wurden 1940 gleichzeitig 3 Feld-Sonderabteilungen aufgestellt, jedoch waren diese, im Unterschied zum Ersatzheer, Erziehungs- und Strafeinrichtungen. Die Unterbringung der Feld-Sonderabteilungen und deren Einsätze erfolgte in unmittelbaren Gefahrenbereichen, d.h., nicht weniger als 25 km hinter der HKL oder an sonst stark gefährdeten Stellen. Den Einsatz und die Unterstellungsverhältnisse regelte der Oberbefehlshaber des Heeres, der im Sommer 1941 die Weisung gab, das Personal der Feld-Sonderabteilungen "A", "B" und "C" in einem Feld-Sonderbataillon zusammenzufassen, das im Fort Alvensleben der Festung Metz seinen Standort hatte.
Das OKH verfügte im Herbst 1941 die Verlegung des Feld-Sonderbataillons an die Ostfront zur Verwendung bei der HGr. Nord, ab November 1944 bei der HGr. Süd. Nach Auflösung der Sammelstellen Metz, Thorn bzw. Warschau im Herbst 1944 wurden die Delinquenten, soweit sie nicht unmittelbar zugeführt werden konnten, zu einer bei der Sonderabteilung IX auf dem Tr.Üb.Pl. Schwarzenborn eingerichteten Sammelstelle überwiesen; nur im Befehlsbereich des AOK 11 erfolgte die Weiterleitung über Plojescht/Ploesti in Rumänien.
Die Kriegsmarine behielt ihre Sonderabteilungen bei der Mobilmachung zunächst bei und wandelte diese nach dem Polenfeldzug in die Kriegs-Sonderabteilung Hela um, die bis Sommer 1942 bestand. Mit deren Auflösung verfügte das OKM die Aufstellung der Marine-Kompanie des Feld-Sonderbataillons des Feldheeres, dem sie truppendienstlich unterstellt wurde. Im Unterschied zum Heer wurden die Marinesoldaten zu dieser Sondertruppe nicht versetzt, sondern kommandiert.
Da es sich beim Feld-Sonderbataillon um eine Straf- und Erziehungseinrichtung des Heeres handelte, wurden als Erziehungseinrichtung der Kriegsmarine die 30. [Wittmund] und 31. [Windau/Lit.] Schiffsstammabteilung [SStA] aufgestellt. Sie unterstanden den zuständigen 2. Admiralen der Marine-Stationskommandos. Mannschaften, die bei der 30. und 31. SStA nicht zu erziehen waren, wurden von dort in die Marine-Kp. des Feld-Sonderbataillons kommandiert.
In der Luftwaffe standen die Soldaten der Sonderabteilungen bei der Mobilmachung 1939 zunächst dem Lw.Gru.Kdo. zur Verfügung, dem die Sonder-Abt. unterstand. Nach deren Auflösung wurde Anfang 1940 als Erziehungseinrichtung das Prüfungslager der Luftwaffe Leipzig-Schönau eingerichtet, das im Spätsommer 1942 kurz vor seiner Auflösung nach Dedelsdorf im Kreis Gifhorn verlegt wurde. Es wurden besonders harte Anforderungen unter Bedingungen gestellt, die den Anstrengungen und Entbehrungen an der Front ähneln sollten. Der zuständige Kommandierende General [Kom.Gen.] und Befehlshaber im Luftgau IV entschied nach einem Zeitraum von 3 Monaten auf Vorschlag des Prüfungslagers, ob der betreffende Prüfling zur Truppe zurückzuversetzen war oder seine Überweisung an die Polizei zu erfolgen hatte. Mit Verfügung d. OBdL wurde 1942 mit Auflösung des Prüfungslagers die Luftwaffen-Jägerkompanie z.b.V. 14 gebildet. Sammelstelle für Prüflinge war die 4. Kp. des Lw.Feldersatz-Btl. 3 in Olmütz. Aber schon im Sommer 1943 wurde die Lw.Jg.Kp. z.b.V. 14 aufgelöst und die Aufstellung der Luftwaffen-Sonderkompanien z.b.V. 1, 2 und 3 befohlen. Die Zuführung der Prüflinge erfolgte über die Lw.Ausbildungs- und Ersatzkompanien z.b.V. 1 bis 4 sowie die von Olmütz nach Deblin-Irena verlegte 4. Kompanie des Luftwaffen-Feldersatzbataillon 3. Die Lw.Sonder-Kpn. z.b.V. wurden ohne Waffen zu schweren und gefahrvollen Arbeiten in Feindnähe, d.h. im Wirkungsbereich feindlicher Artillerie verwendet. Zu prüfen war, ob der Delinquent für eine Bewährung vor dem Feind mit der Waffe bei einem Lw.Jägerbataillon z.b.V. geeignet erschien. Die Prüfungszeit betrug zwischen 3 und 6 Monaten; danach entschied auf Vorschlag des Kp.Chefs der zuständige Luftflotten-Chef über die Versetzung in ein der Luftflotte oder einer Lw.Felddivision angehörendes Lw.Jägerbataillon z.b.V. oder bei Nichteignung die Überstellung in das Straflager der Wehrmacht bzw. an die Polizei zur Verwahrung in einem KL.
Alle im aktiven Wehrdienst befindlichen Angehörigen der Wehrmacht unterstanden der Militärjustiz. Die Feld-wehrmacht unterlag der Feldgerichtsbarkeit. Für die Angehörigen der Waffen-SS, für die besondere SS- und Polizei-Feldgerichte zuständig waren, fanden die für die Wehrmacht erlassenen Gesetze sinngemäße Anwendung. Beim RAD (Reichsarbeitsdienst) bestand eine eigene Dienststrafordnung; für Verbände das RAD, die für Aufgaben der Wehrmacht eingesetzt waren und den Oberbefehlshabern der Wehrmacht unterstellt worden sind, galt uneingeschränkt die Militärgerichtsordnung und das Militärstrafgesetzbuch. Für RAD-Angehörige bei militärischen Kommandobehörden bzw. Dienststellen in besetzten Gebieten galt die Verordnung vom 10.04.1940, Art. 2 (RGBl. I, S. 626). Das Wehrmachtgefolge unterstand außerhalb des Reichsgebietes einschließlich des Generalgouvernement (GG) Polen den Kriegsgesetzen sowie der Wehrmachtdisziplinar- und Strafordnung und den militärischen Strafvorschriften. Hierzu zählte besonders der "Fronteinsatz" der OT und andere "im Rahmen der Wehrmacht eingesetzten Verbände", wie z.B. DRK und NSKK. In Ausnahmefällen wurden durch zivile Gerichte Verurteilte der Militärjustiz überwiesen, das galt in jedem Falle für Soldaten des Beurlaubtenstandes - also Reservisten. Zu Freiheitsstrafen verurteilte Soldaten usw. wurden den zuständigen Strafvollzugs- und Verwahreinrichtungen übergeben.
(...)
__________
Fortsetzung folgt.
MfG Uwe