2. Teil
Keine Antwort aus dem Graben
Weiter ging es durch einen Waldvorsprung, der sich bis auf etwa 10 Meter an die Stelle unseres Grabens heranschob, an der heute Morgen der Gewehrposten eingeschlafen und nur mühsam wach zu bekommen war. Auf meine verhaltenden Rufe erhielt ich aus dem Graben keine Antwort. Nichts reget sich in dem Grabenstück vor uns. Auch an dem in russischer Hand befindlicher Waldrand war in diesem Abschnitt keine Bewegung zu erkennen.
Unter der Feuerbereitschaft meiner Gruppe tat ich den erste Sprung in unseren Graben: Von der anderen Seite viel kein Schuss. Nach rechts lief der Graben nach etwa 30 Metern in eine morastige Mulde aus. Hier lag die Grenze unseres Bataillons Abschnittes, die zugleich die Divisionsgrenze bildete. Nach links stieß ich nach 200 bis 300 Metern auf einen Posten der mir versicherte, das kein Russe im Graben gewesen sei.
Mit dieser Meldung schickte ich dann meine immer noch in dem Waldvorsprung wartende feuerbereite Gruppe zum Gefechtsstand zurück, während ich selbst in der Stellung blieb, um den Befehl zu übermitteln das um Mitternacht der Rückzug auf eine neue Verteidigungslinie beginne. So gelangte ich von Mann zu Mann. Wie wenige waren von dem starken Bataillon in den Paar Tagen übrig geblieben.
Als besonderer Schwerpunkt ist mir die von dem Unteroffizier Freiherr von Waldhausen verteidigte Stellung in der Erinnerung geblieben. Ihm lag ein russisches Maschinengewehr gegenüber, das unter Ausnutzung einer Waldzunge bis auf eine Entfernung von 50 bis 80 Meter herangekommen war. Auf diese kurze Distanz lieferten sich beide Gewehre unerbittliche Feuergefechte. Mit der ihm eigenen Gelassenheit bediente von Waldhausen selbst das Maschinengewehr, als ich mit ihm sprach. Sein Vater war im ersten Weltkrieg Oberst und Regimentskommandeur gewesen.
Ich hatte vor durch den Zugangsgraben auf den linken Flügel – übrigens der einzige für unseren Bataillonsabschnitt – zum Bataillonsgefechtsstand zurückzugehen, wurde jedoch davor dringend gewarnt, da er vom Feind eingesehen und unter Beschuss gehalten wurde. Mir blieb nur die Wahl: Entweder bis zum Einbruch der Dunkelheit im Hauptkampfgraben zu warten, oder den Weg zu gehen den ich gekommen war. Ich entschied mich für die letztere Möglichkeit.
Dort wo auf dem rechte Flügel der Graben in die bereits erwähnte sumpfige Mulde mündete, verließ ich ihn. Zunächst bewegte ich mich wie ein Jäger auf der Pirsch zwischen den recht vereinzelt stehenden armdicken Birkenstämmen, doch bald erschien mir diese Vorsicht unnötig. Hier auf der Naht zur rechten Nachbardivision herrschte Ruhe, schien der Krieg zu Ende zu sein.
Vier einsame Gewehre
Dann stieß ich nach 100 bis 200 Metern in den dichter werdenden Wald auf eine einsame Pyramide von vier russischen Infanterie Gewehren. Nun war mir nicht mehr zweifelhaft, das der Russe sich in diesem Gelände bereits eingerichtet hatte. Das also hatte in Wahrheit hinter der Meldung vom Feindeinbruch in unserem Graben gesteckt: Der Gegner operiert bereits hinter unserer Linie.
Mir war auch klar wer den Feuerüberfall veranlasst hatte, als ich mit der Gruppe am Nachmittag über die Waldwiese vorrückte. Wo aber stecken die russischen Soldaten, denen die zusammengestellten Gewehre gehörten? Hatten sie mich inzwischen entdeckt?
Vorsorglich schnappte ich ihre Gewehre und schleppte sie mit. Mit aller Gewalt brach nun die Dunkelheit herein. Vorsichtig pirschte ich durch den mondhellen, feindbesetzten, unheimlichen Wald. Dabei kam ich gründlich aus der richtigen Richtung. Der Mond als Orientierungspunkt bewahrte mich davor, das ich völlig in die Irre ging. Dann stieß ich nach einem langen Marsch auf einen Waldweg, der wie ich zutreffend vermutete nahe an unserem Bataillons Gefechtsstand vorbeiführte, wo ich nach Mitternacht eintraf.
Hier war der Aufbruch so gut wie abgeschlossen. Auch die Nachhut des Bataillons war bereits versammelt. Mit meiner Rückkehr hatte man nicht mehr gerechnet. Zwei eigens nach vorn befohlenem Sturm Geschütze standen bereit, um uns aus dieser verworrenen Frontlage herauszubringen.
Uns kam in dieser Nacht zu statten, das der Feind sich ruhig verhielt. Bei uns dagegen ging es Geschäftig zu. Das war die Kunst, sich unbemerkt aus der Stellung zu schleichen. Jeder verschafft sich einen Halt an den beiden Stählernen Kolossen, an den wir wie die Trauben hingen. Ich fraget im Flüsterton nach diesem und jenem und nach von Waldhausen.
Irgendeiner antwortete der ist noch ganz zum Schluss an seinem Maschinengewehr gefallen.
Dr. Rossa
Kameradenhilfswerk der
260. Infanterie- Division
Mit freundlichen Grüßen
Karlheinz