Teil 3
Doch statt der ruhigen Reserve kam es anders, es kam der Krieg. Bauern kamen und brachten ihre Pferde; Fahrzeuge, Geschirre, Waffen, Lederzeug, Bekleidung wurde aus dem Magazin geschleppt. Die aktiven Regimenter wurden verladen zur deutschen Grenze. Reservisten rückten in leer gewordenen Kasernen ein. Neue Einheiten wurden aufgestellt und nach vierzehntägiger Übung ging s ab, - an die Front. Mein Chef war mit dem aktiven Regiment abgerückt, und so wurde Martin mein „planmäßiges“ Reitpferd.
Zuerst ging s ja ganz gut. Am Weswall hatten unsere Pferde außer den Landwirtschaftlichen Arbeiten nicht viel zu leisten. Als dann der Feldzug gegen Frankreich begann, zogen wir in Nachtmärschen über den Schwarzwald und die Schwäbische Alb, wurden bei Reutlingen auf die Bahn verladen und befanden uns einen Tag später auf den Straßen der Eifel. Von dort begann der Marsch durch Luxemburg und Belgien, durch die Ardennen bis zur Aisne. Dort kamen wir zum Einsatz und stießen in unerhörten Gewaltmärschen südwärts, durch die Champagne, den Argonnerwald, übers Hochplateau von Langres bis tief hinein in die Bourgogne, das alte Burgunderland.
Auch mein „Martin“ hat tapfer mitgehalten. Dise Strapazen des Feldzuges wurden nachher belohnt durch die üppige Ruhezeit eines ganzen Jahres. Es gab Futter in rauen Mengen und unsere Pferde waren alle rund und wohlgenährt. Mancher Bauer hätte uns darum beneidet – damals.
Doch dann ging diese zeit jäh zu Ende: Der Feldzug gegen Russland begann. Vier Tage Bahnfahrt von West nach Ost, Quer durch die deutsche Heimat. Durch Staub und Sand und Dreck und Sumpf ging der Weg an die Front, die wir unweit der Bresina erreichten. Mein „Martin“ habe ich gleich von Anfang an geschont und führte ihn oft große Strecken am Zügel.
Ich hatte unter meinen Männern gute Pferdepfleger, deren einen ich „Martin „ hätte wohl anvertrauen können. Jedoch ich ließ es mir nicht nehmen, ihn selbst zu pflegen und zu versorgen. Ich putze ihn selbst, gab ihm sein nötiges Futter und Wasser, ich sattelte ihn selbst auf und ab. Des Nachts stand er beim Vormarsch immer zunächst an meinem Zelt oder meinem Erdloch an einem Baum gebunden.
Zu jener Zeit geschah es auch, das ich ihn einmal mit einer Gerte traf, die ich durch die Luft sausen ließ: er schlug nach mir aus und traf mich über dem linken Knie. Die Folge war ein Bluterguss, der sich mit der Zeit verknöcherte. Ich konnte das Bein weder strecken noch biegen.
Aber der Krieg musste doch bald aus sein. Ich wollte doch nicht vorher schon nach hause geschickt sein. Darum humpelte ich noch Tagelang mit. Mit Marschieren war es bei mir allerdings nicht mehr weit her. Nun kam es mir gut zu statten, das ich mein Reitpferd bisher geschont hatte. So konnte ich jetzt reiten, nachdem fast keiner mehr ein Reitpferd hatte.
Da besonders durch die Strapazen im unwegsamen Gelände viele Zugpferde ausgefallen waren, wurden nach und nach die Reitpferde eingespannt. „Martin“ war wenigsten bei uns – noch nie im Geschirr gegangen, und es hatte wahrhaftig niemand Lust, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. So konnte ich ihn also behalten, zumal ja auch zu Aufklärungszwecken eine kleine Zahl Reitpferde unentbehrlich waren.
Als dann die heftige Schlacht um den Brückenkopf der unteren Desna tobte und viele Verwundete zurück gebracht wurden, musste auch ich mein Bündel packen und ins Lazarett wandern. Mein Sattelzeug hatte ich vorsorglich in ein Fahrzeug verstaut und meinen „Martin“ ließ ich aus dem Desna Brückenkopf heraus zurück zum großen Tross bringen, um ihn wenigsten aus der schlimmsten Gefahrenzone heraus zu wissen.
Der große Tross hatte am Rande eines halbzerstörten Dorfes sein Biwak aufgeschlagen. Der Weg zur Krankensammelstelle führte mich dort vorbei. Es war ein grauer September Tag und der Regen rann in Strichen vom Himmel.
Hier sah ich meinen „Martin“ noch einmal. Er stand, an einem Gartenzaun gebunden, mit hängendem Kopf, nach oben gekrümmten Rücken, mit eingezogenen Schweif und eingezogener Hinterhand, das ganze wie ein Dach, an dem das Regenwasser nach allen Seiten herabrann. Als er mich kommen sah, hob er den Kopf und brummelte mir freudig entgegen. Ich ging zu ihm hin und teilte mit ihm die letzten Brotreste, die ich bei mir hatte. Und da fühlte ich erst, wie sehr er mir ans Herz gewachsen war. Er schaute mich so unbekümmert an. Ach er wusste ja gar nicht wie mir zu Mute gewesen war. Ich hing mich an seinen hals und weinte wie ein Kind. Meinen Kameraden konnte ich doch nicht sagen, wie schwer mir der Abschied fiel. Es war ja im Grund genommen nicht nur „Martin“ was ich zurücklassen musste: der Bataillonsstab, der Kampf, der Krieg, das alles war mir längst Heimat geworden. Jetzt erst kam es mir deutlich zum Bewusstsein – Ich kam ziemlich weit zurück, bis ins Gouvernement nach Brest – Litowsk.
Kameradenhilfswerk der
260. Infanterie- Division
Mit freundlichen Grüßen
Karlheinz