Teil 3
15 km vor der Kaserne war ein Kuschelgelände, das uns zum gefechtsmäßigen Scharfschießen zur Verfügung stand. Man nannte es „Les Martres“. An und Abmarsch zusammen etwa 6 Stunden. Dazu noch die Bewegung im Gelände. Da lernten wir selbst beim Marschieren in eine Art Schlaf zu verfallen. Ab und zu rief einer „Es ist so schön Soldat zu sein“, damit ja keiner wirklich einschlief. Ab und zu war auch ein „Hurra, wir verblöden!“, zu hören. Hatten wir beim Rückmarsch endlich einen Kaserneneingang mit üblichem Gesang durchschritten, mussten wir noch eine Runde im Paradeschritt absolvieren. Als das einmal nicht klappte, lies der Chef den ganzen „Sauhaufen“ in Stellung gehen und die Küche samt Speisesaal stürmen. Die MG fingen an, mit Platzpatronen zu rattern.
In ihrem Feuerschutz rückten die Schützen gruppenweise in geschlossenen Sprüngen vor. Zum Nahkampf hieß es „Seitengewehr pflanzt auf!“ Der Kasernenhof war in eine Staubwolke gehüllt. Dem Küchenpullen schlotterten die Knie. Der Kdr. grinste zum Fenster heraus. Außerhalb der Kaserne gingen die Franzosen in Deckung. Und wie sahen wir in der Ausbildung aus? Wie Schießbudenfiguren! Der Drillich war üblicherweise in grün, in Friedenszeiten weißlich – gräulich. Davon gab es in den Kleiderkammern noch einige Restbestände, die aufgetragen werden mussten. So kam es, dass einer im hellen, der andere im dunklen und der dritte in einer Kombination daherkamen. Richtig gepasst hat der der Übungsanzug selten, Ärmel zu kurz, Hose zu lang, Kittel zu eng, Hose zu weit. – Hat jemand gemeckert hieß es: „Schnauze halten!“ Noch toller war. eine Gruppe hatte ein MG 38, die anderen ein G 42 und der dritte eine Nachbildung aus Holz. So marschierten wir durch sie Straßen unserer Garnison. Als wieder einmal die Resistance einem Kameraden die Kehle durchgeschnitten hatten, durchsuchten wir die ganze Gegend, besonders um die Kathedrale. Unsere Wut war grenzenlos und so ging schon allein wegen des passiven Verhaltens der Gegenseite manches zu Bruch.
Unser Sicherheitsdienst hatte herausgefunden, dass ein gewisser V. der Resistance angehört. Er besaß eine Villa, welche an einer Alle hinter hohen Maueren lag. Es wurde ein Kommando mit zehn Mann zusammengestellt, dem auch ich angehörte. Am 13. Oktober marschierten wir singend und in Kolonne scheinbar zufällig besagte Allee entlang. Ein Angehöriger der Feldgendarmerie, der fließend Französisch sprach, läutete in Zivil mit Baskenmütze, Sonnenbrille und lässig im Mundwinkel hängender Zigarette am Gartentor. Wir sahen, dass sich das Tor öffnete und unser, wie ein Franzose aussehender Freund, das mit einer Haube bekleidete Dienstmädchen in ein Gespräch verwickelt, bis wir näher heran waren. Auf das Kommando „Aus“ stellten wir unseren Gesang ein und stürmten durch das geöffnete Gartentor. Monsieur V. wurde gefesselt und verhört. Er gab ziemlich freche Antworten. Im laufe des Abends kamen noch einige Gestalten an, um sich bei V. zu treffen. Diese wurden vom Dienstmädchen eingelassen. Wir nahmen sie gebührend in Empfang. Noch in der Nacht schafften wir Monsieur V. und seine Kumpane heimlich in unsere Kaserne.
Unsere Essensration war äußerst mager. Das Mittagessen bestand aus fettarmen Eintöpfen, abwechselnd mit Graupen oder Möhren. Abends gab es Kommissbrot und Dauerwurst. Bei deren Ansehen scharrten wir wie die Pferde auf dem Boden und wieherten dazu. Der Tee war undefinierbar. Einige hatten herausbekommen, dass es in der Nähe der Kaserne ein Restaurant gab, wo man ein Schmackhaftes Essen bekam. Die Kugelrunde Wirtin verlange jedoch viel Geld. So konnten wir gelegentlich zum Speisen gehen. Vorschriftsmäßig gingen wir nie alleine, sondern nur in kleinen Gruppen, wegen der Resistance. Wir hatten einen in unserem Zug, wegen dessen Fehlverhalten wir ab und zu Strafexerzieren mussten oder auch Ausgangssperre bekamen. Zu diesem kam an manchen Nächten der „Kasernengeist“. Offiziell gab es dieses Unwesen nicht, es wurde aber stillschweigend geduldet. Im dunkel der Nacht flog plötzlich viel Wasser in die Falle des Missetäters und einige Decken wurden darüber geworfen. Dann sauste Koppel hernieder, bis der „Sträfling“ vor Schmerzen schrie. Wenn der UvD aufkreuzte, war es, als sei nichts geschehen. Dieser Kamerad bekam übrigens als erster das Infanteriesturmabzeichen. Weihnachten 43 schossen wir in unserem Übungsgelände ein Wildschwein. Der Koch verarbeitet es zu Fleischkäse. Die Portionen waren am Heiligen Abend reichlich. Der Rotwein floss in Strömen. So ziemlich alle waren besoffen. Es war ein für diesen tag geduldeter Galgenhumor. Ein großes Vergessen.
Urlaubschein wann wirst du endlich mein? Ich möchte so gerne einmal nach Hause gehen, und meine liebste wieder sehen.
Die Sehnsucht wurde erfüllt. Von Silvester 43 bis Mitte Jan 44 wurde uns Einsatzurlaub gewährt. Wir reisten feldmarschmäßig ausgerüstet und mit 5 Schuss Sicherheitsmunition, welche wir in der linken Brusttasche tragen mussten, mit einen Sonderzug nach Stuttgart und dann wieder nach Sens zurück. Dort ging es gleich auf Partisanenjagd. Auf dem Plateau von Langres hatten Flugzeuge Nachschub für die Resistance abgesetzt. Es musste alles schnell gehen.
Wehrmachtsfahrzeuge standen nicht zur Verfügung. So wurden alle möglichen Gefährten samt Fahrer bei den Franzosen aufgetrieben. Ein Fahrzeug gehörte nach der Beschriftung einem Weinhändler. Das andere beförderte sonst Baustoffe. Das dritte war aus dem Fuhrpark der Straßenreinigung usw. Dieser bunte Haufen kam auf dem Plateau an.
Was wir fanden war nicht viel. Einige Partisanen sprengten sich in die Luft als wir sie Gefangen nehmen wollten. Erschossen haben wir keinen. Durch Verhöre der wenigen Gefangenen fanden wir einen ihrer Schlupfwinkel heraus. Er lag in Sens in einem Gasthaus bei einer Brücke über die Yonne. Wir hoben ihn noch aus und verabschiedeten uns danach, zur Auffüllung der arg gebeutelten 340. ID. im Norden der Ukraine.
Kameradenhilfswerk der
260. Infanterie- Division
Mit freundlichen Grüßen
Karlheinz