1. Teil
Die Geschichte meines Pferdes „Martin“
Unsere letzte Offensive vor Moskau
In der September – Ausgabe begann Kamerad G. Fr. Weber von seinem Pferd „Martin“ zu erzählen, dessen Geschichte er als Unteroffizier im Stab des II./470 im April 1942 auf Meldeblockzetteln aufgezeichnet hatte. Ein gehärteter Bluterguss mit unbeweglichem linkem Knie zwang ihn selbst zu Beginn des Russlandfeldzuges ins Lazarett. Um aber bestimmt wieder zu seinem Bataillon zu kommen und seinen „Martin“ wieder zu haben, verzichtete er unentwegt auf „Heimatlazarett“ sondern drängte nach drei Wochen wieder nach vorn und fand auch nach langer Zeitfahrt wieder seinen Haufen.
Vierzehn Tage war ich Unterwegs bis ich meinen Haufen wieder ereicht hatte. Nach Beendigung der Kesselschlacht bei Kiew war meine 260. ID. in nordöstlicher Richtung abgezogen.
Es war Anfang Oktober 1941. Die größte Herbstoffensive war im vollen Gang. Auf allen möglichen Beförderungsmitteln kam ich bei Rosslawel zu meiner Division, derer Zeichen das württembergische Hirschhörnle mir auf dem Wegweiser und Fahrzeugen in die Augen fiel. Einige Kilometer hinter der Kämpfenden Truppe traf ich den Fahrer des Regiments – Kommandeurs, der mich mit seinem leeren Personenwagen nach vorn mitnahm.
In dunkler Nacht erkannte ich dabei im abgeblendeten Licht des Autos in einem Infanterietross einige meiner Fahrer und stieg aus. So kam ich zu meinem Haufen. Zunächst gab es ein freudiges und erstauntes Wiedersehen; denn keiner glaubte dass ich so bald wieder kommen könnte. Nachdem ich mich nach diesem und jenen erkundigt hatte wollte ich auch nach meinen „Martin“ fragen.
Doch da knabberte er mir auch schon an meinen Achselklappen herum. Ich hatte zuerst gar nicht bemerkt, dass ich gerade neben ihm aus dem Auto gestiegen war. Etwas mager schien er mir geworden zu sein, aber sonst war er noch der Alte. Ich kramte meinen Sattel hervor und ritt gleich mit ihm vor zur Spitze, um mich beim Kompanieführer zurückzumelden, und blieb dann gleich bei der vordersten Fahrzeugstaffel. Es ging kaum recht Vorwärts in der Nacht; denn die Fahrzeuge steckten alle im Dreck. Die ganze Nacht ging herum mit Vorspannen, Abladen, Aufladen und Umladen. Ich kam gleich wieder richtig „in den Stiefel hinein“.
So ging es weiter Tag für Tag. Wir hatten verhältnismäßig wenig Widerstand, mit Ausnahmen bei Kaluga.
Als wir dann später eines Abends den Feuerschein von Moskau am nördlichen Horizont sahen, da war es schon Winter geworden; Nun begann die eigentliche Leitenszeit, besonders für unsere Pferde.
Rückzug von Sibirien und sibirischer Kälte
Das Futter wurde spärlich. Es kam der Rückzug, dem der von Napoleon alle Ehre macht. Manche Nacht mussten die armen Tiere im Schneesturm und bei dreißig, vierzig und mehr Grad Kälte an den Fahrzeugen stehen. Wir selbst kuschelten uns unter die Planen der Fahrzeuge in Decken gehüllt, oder standen abwechslungsweise in einer Panjehütten, um die Glieder und Nasenspitzen aufzuwärmen. Die Pferde bekamen einen Pelz; man konnte seine Fäuste darin verstecken; wie Zottelbären sahen sie aus. Wir kamen wieder über Kaluga. Denn heiligen Abend verbrachten wir bei einer Kanne voll geschmolzenen Schneewasser und getrockneten Brotwürfel, dauernd gewärtig von der Übermacht sibirischer Truppen erdrückt zu werden.
Ich hatte während dieses Rückzuges im Rahmen des gesamten Divisionstrosses den Großen Tross meiner Kompanie zu führen. Wir waren kaum ein par tage unterwegs, da waren wir schon abgeschnitten von unserer Truppe, zogen ohne Verbindung durch den russischen Winter, ganz auf uns selbst gestellt, ein Haufen zwischen allen möglichen motorisierten und bespannten Nachschubeinheiten, hinter uns und zu beiden Seiten neben uns Sowjetische Truppen.
Eines Tages kurz vor Neujahr konnten wir nicht mehr weiter. In den Orten die wir erreichen sollten, hatten schon die Russen Quartier gemacht. Wir waren eingeschlossen! Was da gerade herumschwirrte Soldaten aller Waffengattungen alles musste antreten, um in Sicherungskompanien eingeteilt zu werden, und ehe ich mich versah war ich Gruppenführer einer sMG- Gruppe und wanderte in eine Schneestellung. Nun folgten drei Wochen ohne Verpflegungszufuhr, abgeschnitten von der eigenen Truppe. Wir versorgten die Pferde so gut es eben ging, mit Dachstroh und Kartoffeln, zuletzt meist nur noch mit Kartoffelschalen.
Es gelang uns dann einen Durchbruch zu erzwingen. Die Sibirier die uns gegenüberstanden waren schnelle Jagdverbände und führten weder Artillerie noch Panzer bei sich. Nacht für Nacht wurden unsere Pferde und Fahrzeuge aus dem Kessel geschleust. Als alle Fahrzeuge, Pferde und Autos in Sicherheit waren, bereiteten auch wir uns zum weiteren Rückzug auf die Hauptkampflinie vor.
„Martin“ von Fremden „organisiert“
Da am Tag vor unserem Abmarsch ich wollte eben meinen „Martin“ eine Hand voll Kartoffelschalen bringen, da war der Schuppen leer, mein „Martin“ war verschwunden, spurlos verschwunden, ohne Zweifel gestohlen worden. Es organisierte sich in jenem Durcheinander manch einer ein Pferd, um seine sieben Sachen wegzubringen. Das ganze Dorf suchte ich nach „Martin“ ab, jeden Schuppen, jedes Haus ohne Erfolg. Ich hatte schon alle Hoffnung aufgegeben.
Abends gegen 4°°Uhr es war schon dunkel, alles stand Abmarschbereit auf der Straße – an den Häusern wurden Brände angelegt, da ging ich die Kolonne entlang bis zur Spitze. Die letzten Sicherungen rückten ein. Ich kehrte wieder um, da kamen mir ein par Panje Schlitten entgegen, die die stehende Kolonne überholten. Und gleich beim ersten Schlitten fiel mir das Pferd auf die Figur, die Haltung, der Gang—da ist mein „Marti“! Mit einem Satz war ich bei ihm und ergriff ihn am Zügel. Trotz der finsteren Nacht hatte ich ihn erkannt. Sofort wollte ich ihn ausspannen lassen, aber auf den Hinweis des Offiziers der uns führt, musste ich einsehen, dass der Schlitten nicht stehen bleiben konnte. So musste ich meinen „Martin“ einstweilen lassen wo er war, bis wir die neue deutsche Front erreicht hatten und in Juchnow zu unserer Einheit entlassen wurden.
Von Partisanen und Below – Truppen bedrängt
Nach sechswöchiger abenteuerlicher Irrfahrt stießen wir endlich auf Teile unserer Division und zu guter Letzt auch noch zu den Resten der Kompanie. Dort sah es kaum besser aus als bei uns. Mancher Fahrer manches Pferd und manches Fahrzeug fehlte. Die Kompanie selbst bestand nur noch aus einer Kampfstärke von drei Unteroffiziere und zehn Mann. Aber die Front stand nun endgültig.
Dreißig Kilometer weiter zurück bezogen wir, der gesamte Tross, unser Quartier. Allerdings hatten wir uns sehr getäuscht, wenn wir glaubten es nun ein weniger ruhiger zu haben. Die ganze Gegend wimmelte von Partisanen und Russischen Fallschirmjägern. Wir mussten uns nachdem wir die große Rollbahn verlassen Juchnow – Smolensk verlassen hatten, buchstäblich von Dorf zu Dorf rückwärts durchkämpfen.
Kameradenhilfswerk der
260. Infanterie- Division
Mit freundlichen Grüßen
Karlheinz