K O P I E R E N
V E R B O T E N !
Reichswehr & Rote Armee
Ein Abriss zur Geschichte der 10jährigen geheimen Zusammenarbeit
Autor: Werner Haupt
Quelle: Deutsches Soldatenjahrbuch 1982 / 30. Deutscher Soldatenkalender, S. 118-128, Schild-Verlag München
Abschrift, Ergänzungen & Bearbeitung: UHF51 ⁃Berlin ⁃2011-11-19
________________________________________________________________________________________________
Der Erste Weltkrieg zeigte eindeutig nur zwei »große Verlierer«: Das war einmal das Deutsche Reich und zum anderen die neu erstandene Sowjetunion. Es vergingen nicht einmal 2 Jahre nach Beendigung des Krieges, als sich beide Staaten politisch und militärisch annäherten.
Die junge Sowjetrepublik stand derzeit in schwierigsten politischen und wirtschaftlichen und auch militärischen Verhältnissen, da bei weitem noch keine Beruhigung der Nachwirkungen der Revolution spürbar geworden war.
Die Polen erkämpften sich ihre Unabhängigkeit und fügten der neu entstandenen »Roten Armee« erhebliche Niederlagen in allen Teilen der ehemaligen polnischen Provinzen bei.
Gen.d.Inf. Hans v. Seeckt, Chef der Heeresleitung im Reichswehrministerium, erkannte die sich neu entwickelnde Situation zuerst und regte bereits am 31. Januar 1920 seine Stabsoffiziere an, »Russland nicht mehr als potentiellen Gegner zu betrachten«. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten weder die deutsche noch die russische Armee Berührungspunkte miteinander. Erst als unter den Einwirkungen der verlorenen Schlacht um Warschau die »Rote Armee« nach Verbündeten Ausschau hielt, konnte der ehemalige türkische General Enver Pascha im Herbst 1920 eine erste lose Verbindung zwischen General v. Seeckt und dem russ. Kriegskommissar Slanski herstellen.
Die vage Fühlungsaufnahme führte dann am 07.04.1921 zu ersten Besprechungen zwischen amtlichen Stellen. Der russische Botschaftsrat in Berlin, Kopp –ein alter Kampfgefährte von Trotzki –, lud Vertreter der deutschen Firmen Krupp, Blohm & Voss
sowie der ehemaligen »Albatros«-Flugzeugwerke in die Botschaft ein, um mögliche wirtschaftliche Verbindungen anzubahnen.
General v. Seeckt sandte im Sommer 1921 den in das Truppenamt (TA) versetzten Hptm. Dr. Oskar Ritter v. Niedermayer nach Moskau, um unverbindliche Sondierungsgespräche mit Vertretern der »Roten Armee« zwecks eventueller Zusammenarbeit zu führen.
Die ersten Schwierigkeiten konnten überwunden werden, als sich der im Jahre 1919 aus Deutschland ausgewiesene kommunistische Funktionär Radek (eigentlich: Sobelsohn) einschaltete. Dieser machte den Kreml auf die Rolle des deutschen Generalstabes aufmerksam,
die dieser bei der Reise Lenins durch Deutschland nach Petrograd spielte.
Radek kehrte mit Ritter v. Niedermayer im Januar 1921 nach Berlin zurück. Major Fischer vom TA empfing Radek im Auftrage von Seeckt. Der Russe wurde hierbei deutlich und bat um deutsche Hilfe beim Aufbau der »Roten Armee«, die in Polen schwerste Verluste erlitten hatte.
Doch inzwischen waren deutsch-russische Gespräche auch auf wirtschaftlichem Gebiet gehalten worden. Lenin schickte im Sommer 1921 seinen Außenhandelskommissar Krasin nach Berlin, der hier mit Oberst Hasse, Abteilungsleiter im TA,
und mit Major v. Schleicher, Referent im TA, zusammentraf. Diese Unterredungen führten zur Gründung der »Gesellschaft zur Förderung gewerblicher Unternehmungen« (GEFU), die als Tarngesellschaft spätere Rüstungsankäufe und Rüstungsverkäufe zwischen beiden Staaten regeln sollte.
Die geheimen Besuche, Unterredungen, Besprechungen, Verhandlungen u.a.m. hatten keinerlei Einfluss auf den am 16.04.1922 abgeschlossenen Vertrag von Rapallo. Erst nach dem dieser Abschluss rechtskräftig wurde, verständigte General v. Seeckt am 31.05.1922 die Reichsregierung von den inzwischen getroffenen Vereinbarungen zwischen den Dienststellen der Reichswehr und der »Roten Armee«. Diese Vereinbarungen wurden u.a. durch Gespräche zwischen Oberst Hasse und dem russischen Botschafter Krestinsky sowie am 29.07.1922 in einem Gespräch zwischen Seeckt und dem Kommissar Rozenblatt vom Oberkommando der »Roten Armee« bekräftigt.
Seeckt sandte danach Major Fischer (1. Generalstabsoffizier beim Chef des Truppenamtes) nach Moskau, um die Details eines entsprechenden Zusammengehens beider Dienststellen auszuhandeln.
Die Heeresleitung richtete nach der Rückkehr von Major Fischer im TA die Sonderabteilung »R« (Russland) ein, die nunmehr alle weiteren Fragen mit der »Roten Armee« federführend bearbeitete.
Reichswehrminister Dr. Geßler bestätigte im November 1922 diese Regelung. Zu letzten Besprechungen traf am 19.12.1922 noch einmal Radek in Berlin ein. Damit waren die »Weichen« für eine enge Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und »Rote Armee« gestellt.
Die Reichswehrführung richtete im Jahre 1923 die »Zentrale Moskau« (kurz: »Z. Mo.«) ein, die dem Chef des TA, später der Heeresabteilung T 3 (Fremde Heere), unmittelbar unterstand. Die Aufgaben der Zentrale umfasste die Steuerung aller politischen, militärischen und wirtschaftlichen Vorgänge im Rahmen der deutsch-russischen Vereinbarungen. Ferner führte die Zentrale laufend Verhandlungen mit Dienststellen der »Roten Armee« und sonstigen Ämtern in Moskau, wobei sie von der dortigen Deutschen Botschaft unterstützt wurde. Oberst a.D. Hermann von der Lieth-Thomsen –im Ersten Weltkrieg Chef des Generalstabes der Luftstreitkräfte und Ritter des Pour le Mérite – wurde erster Chef der »Zentrale Moskau«. Im September 1923 wurde er von Major a.D. Dr. Oskar Ritter v. Niedermayer ("Neumann") abgelöst.
Die »Z. Mo.« vereinbarte mit dem Oberkommando der »Roten Armee« u.a. folgende Punkte:
1. Zurverfügungstellung militärischer Stützpunkte für Ausbildungszwecke von Luftwaffe, Panzertruppe und Gaskrieg;
2. Aktionsfreiheit für Ausbildung und technische Erprobung auf diesen drei Gebieten;
3. Gegenseitiger Austausch von Erfahrungen und Erkenntnissen.
Die wirtschaftlichen Beziehungen hatten sich inzwischen ebenfalls vertieft. Die »GEFU« richtete ihre Büros in Berlin und Moskau ein und begann 1923 mit den zugesagten Aufbauhilfen.
Deutsche Techniker, Ingenieure und Monteure – v.a. aber deutsches Geld – gingen in die Sowjetunion. Noch 1923 wurde mit dem Aufbau folgender russ. Rüstungswerke begonnen, die sich bis in den Zweiten Weltkrieg hinein halten sollten:
Waffenfabriken in Zlatusk (Ural), Tula bei Moskau und Schlüsselburg. Bei Kolpino, südostwärts von Leningrad, wurden die Putilov-Werke errichtet, in denen später der »T 34« gebaut wurde und die noch Panzer herstellten,
als die deutsche Front im Herbst 1941 nur wenige Tage vor den Werksanlagen zum Stehen kam. Die Firma Junkers baute in Fili bei Moskau eine Flugzeugfabrik, die allerdings 1927 ihren Betreib einstellen musste.
Das Oberkommando der »Roten Armee« sagte die Erfüllung der deutschen Forderung zu. General Baranow, Oberbefehlshaber (O.B.) der russ. Luftwaffe, bot der »Zentrale Moskau« den großen Flugplatz in Odessa als Übungsgebiet an.
Die geografische und klimatische Lage dieses Standortes hätte nicht nur für die deutschen Piloten Vorteile gebracht, sondern von hier konnten Land- und Seeflugzeuge gleichermaßen starten.
Doch nachdem die Reichsmarine kein Interesse zeigte, genügte ein Landflugplatz. Die Sowjets boten nun den Flugplatz Lipezk an. Der Kur- und Badeort Lipezk liegt ca. 400 km südsüdostwärts von Moskau am Fluss Woronesh.
Der weiträumige aber primitive Flugplatz lag auf einer Hochebene unweit des Provinzstädtchens. Oberst a.D. Hermann von der Lieth-Thomsen wurde vom Rw.Ministerium am 20.09.1923 zum Führer des deutschen Luftfahrtpersonals in Russland ernannt.
Der Ausbau des deutschen Luftwaffenstützpunktes Lipezk begann im Jahr 1924. Deutsche Techniker erstellten in wenigen Monaten rings um die beiden Flugfelder mehrere Flugzeughallen, Werftanlagen, Fabrikations- und Reparaturwerkstätten, einen Motorenprüfstand, ferner Verwaltungs- und Wohngebäude und ein mit modernsten Mitteln ausgerüstetes Lazarett.
Die Reichsregierung hatte durch das Heereswaffenamt inzwischen 50 Jagdflugzeuge vom Typ »Fokker D XIII« bei der niederländischen Firma Fokker angekauft, die getarnt als Handelsware mit Schiffen nach Petrograd – 1924 in Leningrad umbenannt – gebracht wurde.
Die Transportfrage war für die »Zentrale Moskau« ein fast unlösbares Problem. Da aus Geheimhaltungsgründen Polen als Durchgangsland ausschied, stand für den Transport über Land nur die Eisenbahnstrecke Königsberg – Kowno – Dünaburg – Smolensk – Moskau zur Verfügung. Die mit dem Zug einreisenden deutschen Offiziere und Techniker mussten die verschiedenen Grenzen Deutschland – Litauen, Litauen – Lettland und schlussendlich Lettland – Sowjetunion mit falschen Pässen und Papieren passieren!
Der Luftweg schied von vornherein aus, da es zu dieser Zeit kaum Transportflugzeuge gab, die das hochwertige technische Material hätten befördern können. Somit lag von Anfang an der Schwerpunkt auf dem Seeweg, der durch das Zufrieren des Finnischen Meerbusens im Winter kaum nutzbar war. Die Masse der Güter ging von Stettin nach Leningrad.
Besonders geheimes und nicht zu tarnendes Material (z.B. Bomben und hochwertige Munition u.v.m.) wurde auf kleinen Seglern verladen und »schwarz« über die Ostsee gebracht.
Hierbei darf angemerkt werden, dass auch die bei britischen Firmen bestellten Waren (Flugzeugmotore) auf ähnlichem Weg und unter ähnlichen Umständen von Großbritannien nach Deutschland geschleust werden mussten.
So konnte die Tarnung des zivilen Reiseverkehrs bis zuletzt durchgehalten werden. Alle Offiziere der Reichswehr (Rw.), die zur Ausbildung nach Russland gingen, wurden vorher mit ihrem Einverständnis verabschiedet und aus der Rangliste gestrichen.
Die Wiedereinstellung in den aktiven Dienst konnte nach Rückkehr beantragt werden, ein rechtlicher Anspruch selbst ließ sich daraus nicht ableiten. Die Offiziere mussten jede Verbindung zu ihren Angehörigen abbrechen. Der postalische Verkehr lief über Deckadressen.
Die in Zivil reisenden Offiziere wurden bereits ab Dünaburg – also auf lettischem Gebiet – unauffällig von »Intourist«-Spezialisten betreut. So gab es dann bei der russischen Grenz- und Zollkontrolle keinerlei Schwierigkeiten – anders war es bei der Heimreise, wenn es durch die deutsche Zollkontrolle ging!
Oberst a.D. von der Lieth-Thomsen übernahm noch 1923 den Befehl über Lipezk. Das technische Personal arbeitete inzwischen an den Flugplatzanlagen, so dass bereits 1924 die ersten 7 deutschen Fliegeroffiziere ihre Arbeit aufnehmen konnten. Es waren die die jungen Offiziere namens Diete, Droste, Hasenohr, H. Johannessohn, Hans-Joachim Rath, v. Schroeder und der spätere General der Flieger Martin Fiebig. Die erste praktische Ausbildung in Lipezk begann im Frühsommer 1925, während der planmäßige Schulbetrieb im Herbst anlief.
Diese Schulkurse dauerten anfangs in der Regel 4 Wochen. Zwischen den einzelnen Kursen blieb eine Woche Pause.
__________
Fortsetzung folgt.
MfG Uwe