Treibstoffengpass in der Luftwaffe

  • Hallo Zusammen


    Ich schreibe an einem Roman und der soll vor dem Hintergrund der „Atempause“ von 1939/40 spielen. Da es hier offenbar Leute gibt. die bestens mit der Geschichte der Luftwaffe vertraut sind denke ich, ich bin hier richtig mit einer Frage zu einer kaum bekannten Episode.


    Ich benötige Sachinformationen zu den Treibstoffadditiven, welche die Deutsche Luftwaffe benötigte und dem Versorgungsengpass Ende 1939/Anfang 1940.


    Die Sache ist die, dass ich vor vielen Jahren zufällig eine Doku im ZDF (?) gesehen habe. Dort wurde erklärt, der „Sitzkrieg“ und die ständige Verschiebung des Westfeldzugs, sei wesentlich auch auf einen Planungsfehler der Luftwaffe zurückzuführen gewesen.


    Nach dem Ende des Polenfeldzugs seien die Vorräte der Luftwaffe an Treibstoffadditiven nahezu erschöpft gewesen und die Deutsche Chemie habe über keine Fertigungsanlagen verfügt, um die benötigten Mengen zu liefern. Man habe aber über IG-Farben diese in den USA bestellt und über Spanien und Italien in Ausreichender Menge an der britischen Blockade vorbeigeschmuggelt.


    Weiß jemand mehr über die Sache? Ich kann nirgendwo was finden.


    Also was mich Interessiert;:


    1. Um was handelt es sich bei den Treibstoffadditiven chemisch überhaupt und warum braucht es die?


    2. Vom wem genau kam das Zeugs in Amerika und wo wurde es wann verladen und kam wann an (Menge, Verladehafen, Datum)?



    Anja

  • Hallo Anja,


    erstmal ein herzliches Willkommen auf http://www.wehrmachtforum.de. Du hast hier ja eine hoch spezielle Frage, die wahrscheinlich eher ein Chemiker beantworten kann aber schauen wir mal. Was ich auf jeden Fall schon mal sagen kann ist folgendes:


    Die österreichischen Raffinerien 1938


    Der Einmarsch Hitlerdeutschlands in Österreich hatte auch für die österreichischen Raffinerien weitreichende Auswirkungen. Diese reichten von grundlegenden Änderungen in der Rohstoffversorgung, über den Wandel derAbnehmer bis hin zum strategischen Ausbau und Neubau von Raffinerien. Die kleinbetriebliche Struktur der österreichischen Raffinerien hat wohl sehr bald zu verschiedenen Überlegungen deutscher Unternehmen geführt den Markt mit neuen großen Anlagen zu erobern.


    Dazu kamen sicher bereits militärische Überlegungen die Kapazitäten zu erweitern. In der Regel wurden diese Ausbaupläne von staatlicher Seite über Preisgarantien oder garantierte Abnahmemengen gesteuert. Der Ausbau der Anlagen selbst lief abermeist auf rein privatwirtschaftlicher Basis – die nationalsozialistische Ideologie lehnte die Verstaatlichung der Industrie eigentlich ab. Wie kein anderer Konzern hatte die I.G. Farben Industrie A.G. diese Ideologie zu nutzen gewusst. Schon 1932, vor der Machtergreifung Hitlers, hatte die Führung der IG Farben mit ihm persönlich den sogenannten „Benzinpakt“ geschlossen: Die IG Farben hatte die Steinkohle-Hydrierung entwickelt, ein großindustrielles Verfahren um aus Steinkohle Treibstoffe herzustellen, da man schon in den 1920er-Jahren mit einem Ausgehen der Erdölreserven gerechnet hatte (!). Da sich diese Ängste bekanntermaßen nicht erfüllten, hatte man nun gigantische Geldsummen in ein Verfahren investiert, dessen Produkte nicht mit Rohölprodukten konkurrieren konnten.


    Hitler garantierte dem Unternehmen nun einen gesicherten Marktpreis für Benzin und erhielt seinerseits eine Treibstoffproduktion, die von ausländischen Ölimporten unabhängig war. Vor diesem Hintergrund stieg die I.G. Farben Industrie A.G. zum unbestrittenen Riesen der deutschen Treibstoffindustrie auf. Bis 1939 hatte man sieben Hydrierwerke errichtet, die eine Gesamtkapazität von 1.200.000 Jahrestonnen hatten. Mit der Okkupation Österreichs 1938 bekam die I.G. Farben nun die Möglichkeit auf das hiesige Erdölvorkommen um Zistersdorf zuzugreifen. Anstatt mühsam Kohle zu hydrieren hatte man nun „deutsches“ Erdöl zur Verfügung. Schon bald darauf, im Jahr 1940, sollte durch den Ölpakt mit Rumänien auch im großen Stil der Zugriff auf die Ölfelder bei Ploiesti möglich werden.


    Auch in diesem Fall kam dem Standort Österreich durch die Donauverbindung besondere Bedeutung zu. Übernahme der „österreichischen“ Raffinerien Praktisch sofort nach dem „Anschluss“ begannen deutsche Firmen die in Österreich gelegenen Firmen unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Raffinerie Floridsdorf wurde zu deutschem Eigentum und die Raffinerie in Vösendorf wechselte zum „Benzolverband Bochum“. Die Raffinerie in Kagran wurde 1939 als ausländisches Unternehmen konfisziert und der Betrieb in Korneuburg gelange unter die Kontrolle der Deutschen Gasoling AG Wien. Die Raffinerie in Schwechat schließlich gelangte an die I.G. Farben, die sie an die DEA (=Deutsche Erdöl Aktiengesellschaft) weitergab. Es bedarf wohl keiner weiteren Erwähnung, dass diese „Übernahmen“ eigentlich Teil einer groß angelegte Enteignungsaktion waren.


    Treibstoffversorgung und Gesamtsituation 1939 - 1943


    Ab 1939 begann das deutsche Militär zu einem nennenswerten Abnehmer der erdölverarbeitenden Unternehmen zu werden. Die Kombination aus schnellen Panzerkräften und dem massiven Einsatz der Luftwaffe (Blitzkrieg) führten nicht nur zu schnellen deutschen Siegen sondern auch zu einem nie da gewesenen Treibstoffverbrauch an der Front. Zum Jahresende 1940 hatte z.B. der Flugzeug-Treibstoffverbrauch begonnen die Produktionskapazitäten der deutschen Industrie deutlich zu übertreffen. Die Luftschlacht um England und der beginnende Russlandfeldzug hinterließen an den Treibstoffreserven des Deutschen Reichs ihre Spuren. Um dem entgegen zu wirken half nur ein systematischer Ausbau der Hydrierwerke und der Raffinerien, der auch in Österreich mit großem Aufwand umgesetzt wurde.


    Die österreichischen Treibstoffproduzenten 1939 - 1943


    Nach dem generellen Besitzerwechsel der Raffinerien folgte bei den Raffinerien in Korneuburg und Vösendorf ein Ausbau der Anlagen. Diese kleinen Produktionssteigerungen konnten die gestiegene Nachfrage aber bei weitem nicht decken. Der einzige Weg aus der Krise bestand im völligen Neubau von Großanlagen: Benzolanlage Linz Das wohl größte Bauprojekt während der NS-Zeit in Österreich war der Bau der Hütte Linz der „Reichswerke Hermann Göring“. Im Zuge dieser Bauarbeiten kam es auch zum Bau einer Großkokerei zur Versorgung der Hochöfen mit Koks. Aus dem dort anfallenden Kokereigas wurde vor allem Ammoniak gewonnen, welches man zur Herstellung von Sprengstoffen und Düngemitteln benötigte („Stickstoffwerke Ostmark“). Weiters wurde aus dem Kokereigas mit Hilfe von Ölen auch große Mengen an Benzol herausgewaschen. Bei der Destillation dieses „Rohbenzols“ kann Benzol, Toluol und Xylol gewonnen werden. Diese drei Stoffe als Gemisch wurden damals als „Motorenbenzol“ bezeichnet. Dies war ein sehr wichtiger Stoff für die Treibstoffindustrie, da er zur Herstellung von hochoktanigen Benzinen, und damit auch Flugtreibstoffen, verwendet wurde. So bestand das unter dem Markennamen „Leuna-Gemisch“ vertriebene Produkt aus etwa 50 Gew. % Benzin, 35-40 Gew. % Benzol und 15-10 Gew. % Alkohol.

    Quelle: Österreichische Treibstoff- und Schmierölindustrie im 2. Weltkrieg von M. Schmitzberger


    Gruß
    Michael

  • Nachtrag:


    Hier findest du noch zahlreiche Infos zum synthetischen Bezin:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsches_synthetisches_Benzin


    und hier haben wir noch etwas zum Flugbenzin direkt:


    Die I.G. Farben erwarben nach langwierigen Verhandlungen und trotz Einspruchs der US-Regierung 1935 von Standard Oil, mit denen sie beim synthetischen Benzin zusammenarbeiteten, eine Lizenz zur Herstellung von Bleitetraethyl, um damit höheroktaniges Flugbenzin herstellen zu können. Nach Gründung der Ethyl GmbH wurden zwei TEL-Anlagen gebaut und mit der Regierung am 10. Juni 1936 ein Flugbenzinvertrag geschlossen. Eine dieser TEL-Anlagen für die jährliche Produktion von 1200 Tonnen entstand in Gapel, die andere 1938/39 für 3600 Tonnen in Frose.


    In den USA wurde während des Zweiten Weltkriegs nach Entwicklung des Isooktans (per Definition: Oktanzahl 100 ROZ) aus Crackgasen die Verwendung von Bleitetraäthyl für Flugbenzin zugunsten von Isooktan ersetzt. Mit Isooktan wurde ein wesentlich hochwertigeres Flugbenzin als mit dem in Deutschland weiterhin verwendeten Bleitetraäthyl möglich. Isooktan war für Deutschland kaum verfügbar, da es aufgrund der verwendeten Basisprodukte und Technologien kaum Crackgase als Ausgangsprodukt für Isooktan gab. Die vorgesehenen Großproduktionsstätten in Heydebreck O.S. (Kędzierzyn) und Auschwitz (Oświęcim) wurde bis Ende des Kriegs nicht fertig, mehrere Kleinanlagen brachten nicht die benötigte Kapazität.


    Während des Zweiten Weltkriegs gab es in Deutschland mehrere Flugbenzinsorten: so hatte B4-Treibstoff 87 ROZ, er entstand beispielsweise durch den Zusatz von bis zu 0,2 % Tetraethylblei sowie von Anilin. Der klopffestere C3-Treibstoff hatte 100 ROZ, er konnte durch weitere Zumischung von „30 % Kybol (Diethylbenzole und Propylbenzole (Benzene), 105 ROZ oder Alkylaten“ hergestellt werden, auch sollen Additive wie organische Amine oder Toluidin zum Einsatz gekommen sein.


    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/…ttokraftstoffe#Flugbenzin


    Gruß
    Michael

  • Hallo Zusammen


    Herzlichen Dank. Sehr interessant.


    Ich muss erst mal das ganze Material durcharbeiten.


    In den für den Massenmarkt produzierten Werken wird immer nur auf denTreibstoffmangel gegen Kriegsende als Folge der Angriffe auf die Produktionsanlagen hingewiesen. Hitlers Behauptung, man könne den Krieg ohne die Eroberung der Ölfelder am Kaukasus nicht erfolgreich weiterführen, wird in Dokus und Sachbüchern als „Wahn“ bezeichnet.
    Dass es aber von Anfang an nicht reichte unterschlägt man.
    Wie hätte sich der Krieg wohl entwickelt, hätten die Italiener das Libysche Öl entdeckt?


    Grüße


    Anja

  • Hallo Anja,

    Herzlichen Dank. Sehr interessant.


    Ich muss erst mal das ganze Material durcharbeiten.

    gern geschehen und viel Spaß beim sichten, es sind ja doch eine Menge Infos die erstmal in die richtige Reihenfolge gebracht werden müssen.

    In den für den Massenmarkt produzierten Werken wird immer nur auf denTreibstoffmangel gegen Kriegsende als Folge der Angriffe auf die Produktionsanlagen hingewiesen. Hitlers Behauptung, man könne den Krieg ohne die Eroberung der Ölfelder am Kaukasus nicht erfolgreich weiterführen, wird in Dokus und Sachbüchern als „Wahn“ bezeichnet.
    Dass es aber von Anfang an nicht reichte unterschlägt man.

    da bin ich ganz deiner Meinung. Zu der von dir geschilderten Situation mit den USA habe ich bisher noch keinen wirklich brauchbaren Hinweis gefunden obwohl ich schon zahlreiche Bücher gewälzt habe.

    Wie hätte sich der Krieg wohl entwickelt, hätten die Italiener das Libysche Öl entdeckt?

    ein interessanter Ansatz. Wenn man sich aber mal den damaligen Kriegsverlauf anschaut, ist das schwer abzuwegen.


    Gruß
    Michael

  • Hallo,


    die Überlegungen, was wäre gewesen, wenn... sind meines erachtens Spekulationen, Sicherlich ein interessanter Ansatz, die Sache mit dem lybischen Öl. Leider aber krankte das Dritte Reich nicht nur an ungenügenden eigenen Erdölvorräten sondern beispielsweise auch an nicht ausreichenden anderen Rohstoffen/Industriekapazitäten. Es gab mehrere ,,Achillesfersen".


    MfG Wirbelwind

  • Hallo Anja,


    zu den Treibstoff Aditiven habe ich erstmal nichts gefunden, aber ich habe das Buch " Energie und Stoff " von 1941 herausgegeben vom Oberkommando des Heeres vorliegen.
    Darin ist zumindest was zur Ölförderung in Deutschland und der Welt abgedruckt.
    Interessant ist hier auch das die Vorkommen in Afrika für gering eingestuft werden.


    Gruß Ulf


    Quelle:
    Energie und Stoff
    Lehrbuch für die Heeresunteroffiziervorschuhle 1941
    Verlag Franz Kraus, Reichenberg (Sudetenland)

  • Hallo Anja,


    hier habe ich noch was für dich gefunden. Ich denke das würde für dich sehr interessant sein.



    Wolfgang Birkenfeld - Der Synthetische Treibstoff 1933-1945


    lief bei Ebay hat einen stolzen Preis erreicht.


    https://www.ebay.de/itm/Wolfga…nc&_trksid=p2047675.l2557


    Gruß Ulf


    Dateien

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    Ich suche Bildmaterial, Dokumente und sonstige Informationen über ausländische Orden und Ehrenzeichen die an Deutsche verliehen wurden. Zum Zweck der Aufarbeitung und der Dokumentation.
    Vielen Dank

  • Nachtrag


    hier habe ich noch was in einer NARA Rolle gefunden.
    Es geht um die Flugbenzin Lage in Italien das Protokoll ist vom 9.4.1943


    Gruß Ulf


    Quelle NARA T77 R780 (OKW)

    Dateien

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    Ich suche Bildmaterial, Dokumente und sonstige Informationen über ausländische Orden und Ehrenzeichen die an Deutsche verliehen wurden. Zum Zweck der Aufarbeitung und der Dokumentation.
    Vielen Dank

  • Hallo zusammen,


    ebenfalls sehr gut passend zu diesem Thema eine Meldung der Panzergruppe 2 aus dem Juli 1941.
    Im Detail geht es hier um die weiterführende Verwendung von Beute-Betriebsstoff und Gummi.


    Quelle: Nara


    Gruß
    Michael

  • Hallo zusammen,


    zu Thema Rohstoff Öl gab es offenbar auch einen Sonderdruck für den Luftwaffen-Führungsstab Ic/VIII
    aus dem Jahr 1940. Sorry für das schlechte Bild aber etwas anderes habe ich leider im Moment nicht.


    Quelle: Ebay


    Gruß
    Michael

  • Hallo zusammen,

    Im Detail geht es hier um die weiterführende Verwendung von Beute-Betriebsstoff und Gummi.

    die folgende Anleitung zur Beute-Betriebsstoffuntersuchung passt zwar nur bedingt aber sollte wohl nicht unterschlagen werden.


    Quelle: Nara


    Gruß
    Michael