Die »verlor'nen Haufen«
Sondertruppen zur Frontbewährung im 2. Weltkrieg
Ein Beitrag zu ihrer Geschichte
Quelle/Autor: Horst Voigt, Major d. Res. a.D. (†), in DSJB 1980 - 1998, Schild-Verlag München
Abschrift/Zusammenstellung & Bearbeitung: 2010-3-12 by UHF51
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Teil IV
Die SS-Sturmtruppen
Von den Truppen "z.b.V." der Wehrmacht (z.B. die 500er des Heeres) unterschieden sich die SS-Bewährungstruppen durch die Mischform der Erziehungs-, Straf- und Bewährungseinrichtungen.
Zum Teil trifft das auch für die Bewährungstruppen der Waffen-SS zu. Die unterschiedlichen Strukturen ergaben sich aus den politischen, polizeilichen und militärischen Aufgaben und der daraus geschichtlich gewachsenen beispiellosen Organisation.
Die zunächst örtlich aus den nationalsozialistischen Sturm-Abteilungen (SA) hervorgegangenen Schutz-Staffeln (SS) blieben auch nach der Machtübernahme durch die Regierung der nationalen Konzentration
(Hitler - Seldte - Hugenberg - v. Papen) 1933 unter dem Obersten SA-Führer (OSAF) bzw. Chef des Stabes der SA und später dem Reichsführer-SS selbständige Gliederung der NSDAP, obgleich an Stelle
ihrer bisherigen Aufgaben als politische Kampfformation der nationalsozialistischen Bewegung neue und z.T. hoheitliche Aufgaben des Staates getreten waren.
Schon in der Weimarer Republik stellten sie mit anderen Wehrverbänden (Jungdeutscher Orden, "Stahlhelm"-Bund der Frontsoldaten usw.) die von der Reichswehr geführten freiwilligen Kader des Grenzschutzes,
die sog. "Schwarze Reichswehr". 1933 erhielt die SS den Status einer Körperschaft.
Die SA mit später angegliedertem NS Reichskriegerbund "Kyffhäuser" und NS Frontkämpferbund "Der Stahlhelm" als SA-Reserve (vor der Gleichschaltung unabhängige, überparteiliche Organisation)
war unter fachlicher Leitung des Chefs des Ausbildungswesens (Chef AW) seit 1933 Träger der vom Reichskuratorium für Jugendertüchtigung der Weimarer Republik unter der Präsidentschaft des
Gen.Lt. a.D. Edwin v. Stülpnagel übernommenen vormilitärischen Ausbildung, die auch nach der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 von den Wehrverbänden der SA, SS, dem NS Kraftfahr-, Flieger- und Reiterkorps fortgeführt wurde
(die Hitlerjugend bzw. Reichsjugendführung war damit nicht befasst).
Der Chef AW, SA-Obergruppenführer Friedrich-Wilhelm Krüger, galt als Vertrauensmann des Reichswehr- bzw. Reichskriegsministers GFM v. Blomberg und bezog die erforderlichen Geldmittel
aus dem Wehretat der Reichswehr (nach dem 30.06.1934 war er SS-Ogruf, später General der Waffen-SS und Polizei u.a. Höherer SS- und Polizeiführer [HSSuPF] im Generalgouvernement [GG] Polen,
Divisionskommandeur, Kommandierender General [Kom.Gen.).
Die nach dem 30. Januar 1933 aus der Nationalen Revolution ergebende Hilfspolizeifunktion der SA - sie hatte eine eigene Dienststrafordnung - mit ihren teilweise kasernierten Formationen, wie bei der SA-Leibstandarte "Feldherrnhalle"
usw. oder - besonders in Preussen - das SA-Feldjägerkorps, endete mit deren Überführung in die neben der zahlenmäßig schwachen Reichswehr (nach dem Versailler Diktat) und zu deren Verstärkung aufgestellten, regimentsstarken
Landespolizei-Gruppen usw. wie z.B. die Polizeigruppe z.b.V. Wecke, spätere Landespolizei-Gruppe z.b.V. (mot.) "General Göring", aus der sich in der Luftwaffe das Fsch.Pz.Korps "Hermann Göring" ("HG") entwickelt hat.
Der Name "Feldherrnhalle" ("FHH") hat sich auf vermutliche Initiative des als Rgts.Kdr. gefallenen RK-Trägers SA-Oberführer Herbert Böhme aus dem III./Inf.Rgt. 271 der 93. Inf.Div. über die 60. Inf.Div. (mot.) - untergegangen in Stalingrad -
und deren Wiederaufstellung bis zu dem daraus im Heer entwickelten Pz.Korps "FHH" erhalten. Während die aus SA und NSKK entstandenen Landespolizei-Gruppen bzw. Landespolizei-Regimenter voll in die Wehrmacht integriert wurden,
bestanden daneben bewaffnete Politische Bereitschaften der SS, die von den Innenministerien der Länder besoldet wurden, als kasernierte Staatsschutztruppe fort. Aus dieser gingen die Totenkopfverbände (SS-TV) für Bewachungsaufgaben
sowie die militärisch gegliederte und ausgerüstete Verfügungstruppe (SS-VT) - zunächst die SS-Verfügungs-Division - hervor. Unabhängig von diesen Formationen bestanden der Sicherheitsdienst (SD) und das Reichssicherheitshauptamt (RSHA).
Die SS-VT entstand als Kern der späteren Waffen-SS zunächst mit der aus den unter Aufsicht und Ausbildungsleitung der Reichswehr aufgestellten SS-Sonderkommandos "Berlin", "Zossen" und "Jüterbog" bzw. der aus diesen
gebildeten Adolf-Hitler-Standarte später in der vormaligen Hauptkadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde stationierten Leibstandarte-SS "Adolf Hitler", sowie den SS-Standarten "Deutschland", "Germania", "Der Führer", und der bei
Mobilmachung 1939 aufgelösten SS-Standarte z.b.V., ferner zwei SS-Totenkopf-Reiterstandarten, der SS-Artillerie-Standarte, dem SS-Pionier- und dem SS-Nachrichten-Sturmbann, außerdem einer Sanitäts-Abteilung und Nachschubeinheiten.
Die ab Herbst 1939 aus der SS-VT, aber auch Teilen der SS-Totenkopfverbände (SS-TV), den verstärkten SS-Totenkopf-Standarten (= Polizeiverstärkung), der SS-Heimwehr Danzig, den neu aufgestellten SS-Totenkopf-Wachsturmbannen
und der Polizei-Division entstandene Waffen-SS unter dem Oberbefehl des RFSS Heinrich Himmler, zuletzt mit einem Pz.AOK und sechs (Territorial-)Befehlshaberstäben, 16 Korps-Generalkommandos 38 Divisionen sowie etlichen Brigaden,
truppendienstlich unter dem SS-Führungshauptamt (SS-FHA), war taktisch dem Oberbefehlshaber des Heeres [OBdH] unterstellt. Die Verwaltungsdienste unterstanden logistisch dem SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt (SS-WVHA).
Daneben bestanden die auf Zusammenarbeit mit den Befehlshabern der Rückwärtigen Heeresgebiete angewiesenen Stäbe der HSSuPF, die angeglichene militärische Generalsränge innehatten, um ihnen Militär und Polizei in ihren
Befehlsbereichen für die Bandenbekämpfung unterstellen zu können.
Wie Lothar Greil (Das war die Waffen-SS) im Deutschen Soldatenjahrbuch 1981 darstellt, gilt als geistiger Urheber der Verfügungstruppe Gen.Maj. a.D. Friedrich Graf von der Schulenburg, letzter Friedens-Kommandeur des Regiments der Garde du Corps und späterer Gen.St.Chef der Heeresgruppe 'Deutscher Kronprinz', der Anfang der 30er Jahre in seiner Denkschrift an das Wehrpolitische Amt der NSDAP unter Reichsleiter Franz Ritter v. Epp, späteren charakt. Gen.d.Inf. und Reichsstatthalter von Bayern, die Aufstellung einer kleinen beweglichen und höchst leistungsfähigen Elite-Formation als Versuchs-, Erprobungs- und mobile Einsatztruppe zur Verfügung der Staatsführung vorgeschlagen hat. Mit der Wiederbelebung eines zeitgemäßen Garde-Gedankens sollten neue Methoden der Auslese, Menschenführung, Erziehung und Ausbildung entwickelt werden. Die entsprechende KStN für die SS-VT erließ das Allgemeine Heeresamt [AHA] am 13.11.1934. Wie aus HV-Blättern 1935 - 1938 zu entnehmen ist, war die SS-VT regulärer Bestandteil der Landstreitkräfte, was aus politischem Opportunismus den um ihre Versorgung geprellten ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS zu unrecht bestritten wird.
Aus den wechselseitigen Unterstellungsverhältnissen der Großverbände und Verbände bei den höheren Kommandobehörden des Heeres (auch der Luftwaffe, der Fallschirm- und Lw.Feld-Korps) und den höheren Feld-Kommandobehörden der Waffen-SS haben sich gegenseitige Verflechtungen und die daraus erwachsene Verbundenheit dieser militärischen Formationen und ihrer Soldaten entwickelt.
Die Nachkriegsverhältnisse verstellen der breiten Öffentlichkeit den Blick und führten zur Verbreitung falscher Vorstellungen, teils unwahrer Darstellungen. Der Verfasser dankt dem Bundesverband der ehemaligen Soldaten der Waffen-SS für sachdienliche Informationen, insbesondere dem Archiv Vopersal für die Öffnung bisher unbekannter Quellen.
In Friedenszeiten hatte die bewaffnete SS zunächst keine eigenen Gerichte. Bei Strafsachen unterlagen ihre Angehörigen der allgemeinen Rechtssprechung der zivilen Gerichtsbarkeit, an die ggf. die Tatberichte einzureichen waren. Die Abgrenzung der Disziplinarordnung für die SS-VT in Anlehnung an jene des Heeres erfolgte erst in den letzten Friedensjahren. Für die Wehrmacht erlassene Gesetze fanden auf die SS-VT schon Anwendung. Aber erst am 17.10.1939 - also nach dem Polenfeldzug, an dem die Standarten und Sturmbanne der SS-VT beim Pz.Verband "Ostpreussen" (die SS-Heimwehr Danzig bei der Brigade Eberhardt) bzw. unter AOK 7, 10 und 14 teilgenommen haben - wurde die Verordnung über die Sondergerichtsbarkeit der SS in Strafsachen erlassen. Nunmehr galten das MStGB und die MStGO sowie die KriegssonderstrafrechtsVO und KriegsstrafverfahrensVO sinngemäß. Nach Angleichung der Polizei(en) galt die SS-Sondergerichtsbarkeit auch für diese, sie wurde auf zahlreiche andere Formationen und Institutionen ausgedehnt. Die Zuständigkeit bei allen Strafsachen oblag nunmehr den SS- und Polizei-Feldgerichten. Diese entsprachen den Kriegs- bzw. Feldgerichten der Wehrmachtteile einschließlich der Bordgerichte der Kriegsmarine.
Die Ehrenstrafen der SS waren zusätzliche Maßregelungen wie analog die Ausstoßung aus der Wehrmacht oder Versetzung in die Zweite Klasse des Soldatenstandes.
Im Juli 1938 hatte der RFSS angeordnet, als erste Sondereinheit den sog. Erziehungs-Sturm für Angehörige der Allgemeinen SS und der bewaffneten SS, die sich eines Dienstvergehens schuldig gemacht hatten, aufzustellen.
Daraus entstand die (Erziehungs-)Abteilung I und die (Besserungs-)Abteilung II - rechtlich galt die Einweisung als eine "zeitlich begrenzte Schutzhaft".
Am 30.11.1939 - nach dem Polenfeldzug - wurde als weiterer Sondertruppenteil (zuletzt in Kp.Stärke) das Kommando z.b.V. beim SS-"T"-Pi.Btl. der SS-Totenkopf-Division aufgestellt.
Das Kuriosum war die amtliche Bezeichnung als "Verlorener Haufen", wohl der in der Jugendbewegung besungenen Landsknechtromantik entlehnt ("...laßt den Verlor'nen Haufen voran zum Sturme laufen..."),
im Landserjargon "Knochensturm" genannt. Das Kommando z.b.V. hatte den Charakter einer Straf- und Bewährungseinheit. Zugewiesen wurden aktive Führer der Allgemeinen SS auf Befehl des RFSS - darunter damals bekannte
und angesehene Männer, die gegen die Disziplin verstoßen hatten - sowie SS polizeigerichtlich verurteilte Unterführer und Mannschaften. Auf Grund seiner Bewährung im Westfeldzug wurde dieser Verlorene Haufen am 18.08.1940
in Südfrankreich aufgelöst. Im Herbst (Okt./Nov.) des gleichen Jahres wurde ein neuer Verlorener Haufen beim SS-Pi.Ers.Btl. in Dresden aufgestellt, der um den 15.07.1941 der SS-Division "Das Reich" für den Bewährungseinsatz
an der Front zugeführt wurde. Der Verlorene Haufen hat bis Kriegsende bestanden, die Versetzung zu ihm galt für den Delinquenten als Todeskommando. Die durch SS- und Polizei-Feldgerichte Verurteilten wurden entweder in des
Strafvollzugslager der Waffen-SS und Polizei Danzig-Matzkau oder in Straflager der SS und Polizei Dachau, also Konzentrationslager (KL), eingewiesen. Eine Außenstelle des Strafvollzugslagers Danzig-Matzkau für den Arbeitseinsatz
in der Rüstungsindustrie (Daimler-Benz Werke Teltow) wurde für ca. 1.200 Delinquenten mit vorläufigem Charakter in Berlin-Marienfelde eingerichtet.
Entsprechend dem Heer wurden bei Delinquenten und Arrestanten bei den Großverbänden Strafvollstreckungs-Züge gebildet. Durch den RFSS wurde auch eine Wildschützen-Sondereinheit aufgestellt,
über die noch Ausführungen folgen. Im November 1941 wurde beim SS-Ersatzbataillon "Deutschland" in Prag-Rusin die SS-Bewährungsabteilung, späterer Ersatztruppenteil der Bewährungstruppe der Waffen-SS,
aufgestellt. Am 10.06.1942 wurde diese dem Kommandeur des SS-Wachbataillons Prag unterstellt, um bald ein selbständiger Sonderverband zu werden.
Die Zugänge kamen meist aus Danzig-Matzkau.
Die SS-Bewährungsabteilung entsandte Ersatztransporte an die Front-Divisionen, wie z.B. im August 1942 zur SS-Polizei-Division an der Leningradfront für den geschlossenen Einsatz von 51 Delinquenten
beim SS-Pol.Schtz.Rgt. 3 ostwärts Kolpino. Später wurden entsprechende Einheiten bzw. Verbände den HSSuPF für polizeilich-militärische Aufgaben zugeführt. Im Herbst 1944 bezog die SS-Bewährungseinheit Garnison in Dublowitz/Böhmen.
Aus ihr ging als Straftruppe die SS-Arbeitsabteilung hervor. Die SS-Arbeitsabteilung kam über den SS-Tr.Üb.Pl. "Heidelager" für den Einsatz bei der HGr. Mitte nach Bobruisk, Weißruthenien, wo sie der dortigen Nachschub-Kommandantur
der Waffen-SS und Polizei unterstellt war. Beiden Abteilungen gehörten seit Herbst 1942 auch fremdvölkische und nicht der SS angehörenden germanische Freiwillige der Waffen-SS an. Sie wurden in je einem selbständigen
Bewährungs-Zug zusammengefasst. Bei den Delinquenten handelte es sich um SS polizeigerichtlich Abgeurteilte bzw. wiederholt diziplinar Bestrafte. Die Bewährungs-Züge, pioniermäßig ausgebildet, wurden bei der 18. Armee -
HGr. Nord - in der 2. SS-Inf.Brigade (mot.) u.a. auch zum Minenräumen eingesetzt.
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Fortsetzung folgt.
Uwe