Reichswehr & Rote Armee / Ein Abriss zur Geschichte der 10jährigen geheimen Zusammenarbeit

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    V E R B O T E N !

    Reichswehr & Rote Armee
    Ein Abriss zur Geschichte der 10jährigen geheimen Zusammenarbeit
    Autor: Werner Haupt
    Quelle: Deutsches Soldatenjahrbuch 1982 / 30. Deutscher Soldatenkalender, S. 118-128, Schild-Verlag München
    Abschrift, Ergänzungen & Bearbeitung: UHF51 ⁃Berlin ⁃2011-11-19
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    Der Erste Weltkrieg zeigte eindeutig nur zwei »große Verlierer«: Das war einmal das Deutsche Reich und zum anderen die neu erstandene Sowjetunion. Es vergingen nicht einmal 2 Jahre nach Beendigung des Krieges, als sich beide Staaten politisch und militärisch annäherten.
    Die junge Sowjetrepublik stand derzeit in schwierigsten politischen und wirtschaftlichen und auch militärischen Verhältnissen, da bei weitem noch keine Beruhigung der Nachwirkungen der Revolution spürbar geworden war.
    Die Polen erkämpften sich ihre Unabhängigkeit und fügten der neu entstandenen »Roten Armee« erhebliche Niederlagen in allen Teilen der ehemaligen polnischen Provinzen bei.


    Gen.d.Inf. Hans v. Seeckt, Chef der Heeresleitung im Reichswehrministerium, erkannte die sich neu entwickelnde Situation zuerst und regte bereits am 31. Januar 1920 seine Stabsoffiziere an, »Russland nicht mehr als potentiellen Gegner zu betrachten«. Doch zu diesem Zeitpunkt hatten weder die deutsche noch die russische Armee Berührungspunkte miteinander. Erst als unter den Einwirkungen der verlorenen Schlacht um Warschau die »Rote Armee« nach Verbündeten Ausschau hielt, konnte der ehemalige türkische General Enver Pascha im Herbst 1920 eine erste lose Verbindung zwischen General v. Seeckt und dem russ. Kriegskommissar Slanski herstellen.
    Die vage Fühlungsaufnahme führte dann am 07.04.1921 zu ersten Besprechungen zwischen amtlichen Stellen. Der russische Botschaftsrat in Berlin, Kopp –ein alter Kampfgefährte von Trotzki –, lud Vertreter der deutschen Firmen Krupp, Blohm & Voss
    sowie der ehemaligen »Albatros«-Flugzeugwerke in die Botschaft ein, um mögliche wirtschaftliche Verbindungen anzubahnen.
    General v. Seeckt sandte im Sommer 1921 den in das Truppenamt (TA) versetzten Hptm. Dr. Oskar Ritter v. Niedermayer nach Moskau, um unverbindliche Sondierungsgespräche mit Vertretern der »Roten Armee« zwecks eventueller Zusammenarbeit zu führen.
    Die ersten Schwierigkeiten konnten überwunden werden, als sich der im Jahre 1919 aus Deutschland ausgewiesene kommunistische Funktionär Radek (eigentlich: Sobelsohn) einschaltete. Dieser machte den Kreml auf die Rolle des deutschen Generalstabes aufmerksam,
    die dieser bei der Reise Lenins durch Deutschland nach Petrograd spielte.
    Radek kehrte mit Ritter v. Niedermayer im Januar 1921 nach Berlin zurück. Major Fischer vom TA empfing Radek im Auftrage von Seeckt. Der Russe wurde hierbei deutlich und bat um deutsche Hilfe beim Aufbau der »Roten Armee«, die in Polen schwerste Verluste erlitten hatte.


    Doch inzwischen waren deutsch-russische Gespräche auch auf wirtschaftlichem Gebiet gehalten worden. Lenin schickte im Sommer 1921 seinen Außenhandelskommissar Krasin nach Berlin, der hier mit Oberst Hasse, Abteilungsleiter im TA,
    und mit Major v. Schleicher, Referent im TA, zusammentraf. Diese Unterredungen führten zur Gründung der »Gesellschaft zur Förderung gewerblicher Unternehmungen« (GEFU), die als Tarngesellschaft spätere Rüstungsankäufe und Rüstungsverkäufe zwischen beiden Staaten regeln sollte.
    Die geheimen Besuche, Unterredungen, Besprechungen, Verhandlungen u.a.m. hatten keinerlei Einfluss auf den am 16.04.1922 abgeschlossenen Vertrag von Rapallo. Erst nach dem dieser Abschluss rechtskräftig wurde, verständigte General v. Seeckt am 31.05.1922 die Reichsregierung von den inzwischen getroffenen Vereinbarungen zwischen den Dienststellen der Reichswehr und der »Roten Armee«. Diese Vereinbarungen wurden u.a. durch Gespräche zwischen Oberst Hasse und dem russischen Botschafter Krestinsky sowie am 29.07.1922 in einem Gespräch zwischen Seeckt und dem Kommissar Rozenblatt vom Oberkommando der »Roten Armee« bekräftigt.
    Seeckt sandte danach Major Fischer (1. Generalstabsoffizier beim Chef des Truppenamtes) nach Moskau, um die Details eines entsprechenden Zusammengehens beider Dienststellen auszuhandeln.
    Die Heeresleitung richtete nach der Rückkehr von Major Fischer im TA die Sonderabteilung »R« (Russland) ein, die nunmehr alle weiteren Fragen mit der »Roten Armee« federführend bearbeitete.
    Reichswehrminister Dr. Geßler bestätigte im November 1922 diese Regelung. Zu letzten Besprechungen traf am 19.12.1922 noch einmal Radek in Berlin ein. Damit waren die »Weichen« für eine enge Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und »Rote Armee« gestellt.


    Die Reichswehrführung richtete im Jahre 1923 die »Zentrale Moskau« (kurz: »Z. Mo.«) ein, die dem Chef des TA, später der Heeresabteilung T 3 (Fremde Heere), unmittelbar unterstand. Die Aufgaben der Zentrale umfasste die Steuerung aller politischen, militärischen und wirtschaftlichen Vorgänge im Rahmen der deutsch-russischen Vereinbarungen. Ferner führte die Zentrale laufend Verhandlungen mit Dienststellen der »Roten Armee« und sonstigen Ämtern in Moskau, wobei sie von der dortigen Deutschen Botschaft unterstützt wurde. Oberst a.D. Hermann von der Lieth-Thomsen –im Ersten Weltkrieg Chef des Generalstabes der Luftstreitkräfte und Ritter des Pour le Mérite – wurde erster Chef der »Zentrale Moskau«. Im September 1923 wurde er von Major a.D. Dr. Oskar Ritter v. Niedermayer ("Neumann") abgelöst.
    Die »Z. Mo.« vereinbarte mit dem Oberkommando der »Roten Armee« u.a. folgende Punkte:


    1. Zurverfügungstellung militärischer Stützpunkte für Ausbildungszwecke von Luftwaffe, Panzertruppe und Gaskrieg;
    2. Aktionsfreiheit für Ausbildung und technische Erprobung auf diesen drei Gebieten;
    3. Gegenseitiger Austausch von Erfahrungen und Erkenntnissen.


    Die wirtschaftlichen Beziehungen hatten sich inzwischen ebenfalls vertieft. Die »GEFU« richtete ihre Büros in Berlin und Moskau ein und begann 1923 mit den zugesagten Aufbauhilfen.
    Deutsche Techniker, Ingenieure und Monteure – v.a. aber deutsches Geld – gingen in die Sowjetunion. Noch 1923 wurde mit dem Aufbau folgender russ. Rüstungswerke begonnen, die sich bis in den Zweiten Weltkrieg hinein halten sollten:
    Waffenfabriken in Zlatusk (Ural), Tula bei Moskau und Schlüsselburg. Bei Kolpino, südostwärts von Leningrad, wurden die Putilov-Werke errichtet, in denen später der »T 34« gebaut wurde und die noch Panzer herstellten,
    als die deutsche Front im Herbst 1941 nur wenige Tage vor den Werksanlagen zum Stehen kam. Die Firma Junkers baute in Fili bei Moskau eine Flugzeugfabrik, die allerdings 1927 ihren Betreib einstellen musste.


    Das Oberkommando der »Roten Armee« sagte die Erfüllung der deutschen Forderung zu. General Baranow, Oberbefehlshaber (O.B.) der russ. Luftwaffe, bot der »Zentrale Moskau« den großen Flugplatz in Odessa als Übungsgebiet an.
    Die geografische und klimatische Lage dieses Standortes hätte nicht nur für die deutschen Piloten Vorteile gebracht, sondern von hier konnten Land- und Seeflugzeuge gleichermaßen starten.
    Doch nachdem die Reichsmarine kein Interesse zeigte, genügte ein Landflugplatz. Die Sowjets boten nun den Flugplatz Lipezk an. Der Kur- und Badeort Lipezk liegt ca. 400 km südsüdostwärts von Moskau am Fluss Woronesh.
    Der weiträumige aber primitive Flugplatz lag auf einer Hochebene unweit des Provinzstädtchens. Oberst a.D. Hermann von der Lieth-Thomsen wurde vom Rw.Ministerium am 20.09.1923 zum Führer des deutschen Luftfahrtpersonals in Russland ernannt.
    Der Ausbau des deutschen Luftwaffenstützpunktes Lipezk begann im Jahr 1924. Deutsche Techniker erstellten in wenigen Monaten rings um die beiden Flugfelder mehrere Flugzeughallen, Werftanlagen, Fabrikations- und Reparaturwerkstätten, einen Motorenprüfstand, ferner Verwaltungs- und Wohngebäude und ein mit modernsten Mitteln ausgerüstetes Lazarett.


    Die Reichsregierung hatte durch das Heereswaffenamt inzwischen 50 Jagdflugzeuge vom Typ »Fokker D XIII« bei der niederländischen Firma Fokker angekauft, die getarnt als Handelsware mit Schiffen nach Petrograd – 1924 in Leningrad umbenannt – gebracht wurde.
    Die Transportfrage war für die »Zentrale Moskau« ein fast unlösbares Problem. Da aus Geheimhaltungsgründen Polen als Durchgangsland ausschied, stand für den Transport über Land nur die Eisenbahnstrecke Königsberg – Kowno – Dünaburg – Smolensk – Moskau zur Verfügung. Die mit dem Zug einreisenden deutschen Offiziere und Techniker mussten die verschiedenen Grenzen Deutschland – Litauen, Litauen – Lettland und schlussendlich Lettland – Sowjetunion mit falschen Pässen und Papieren passieren!
    Der Luftweg schied von vornherein aus, da es zu dieser Zeit kaum Transportflugzeuge gab, die das hochwertige technische Material hätten befördern können. Somit lag von Anfang an der Schwerpunkt auf dem Seeweg, der durch das Zufrieren des Finnischen Meerbusens im Winter kaum nutzbar war. Die Masse der Güter ging von Stettin nach Leningrad.
    Besonders geheimes und nicht zu tarnendes Material (z.B. Bomben und hochwertige Munition u.v.m.) wurde auf kleinen Seglern verladen und »schwarz« über die Ostsee gebracht.
    Hierbei darf angemerkt werden, dass auch die bei britischen Firmen bestellten Waren (Flugzeugmotore) auf ähnlichem Weg und unter ähnlichen Umständen von Großbritannien nach Deutschland geschleust werden mussten.
    So konnte die Tarnung des zivilen Reiseverkehrs bis zuletzt durchgehalten werden. Alle Offiziere der Reichswehr (Rw.), die zur Ausbildung nach Russland gingen, wurden vorher mit ihrem Einverständnis verabschiedet und aus der Rangliste gestrichen.
    Die Wiedereinstellung in den aktiven Dienst konnte nach Rückkehr beantragt werden, ein rechtlicher Anspruch selbst ließ sich daraus nicht ableiten. Die Offiziere mussten jede Verbindung zu ihren Angehörigen abbrechen. Der postalische Verkehr lief über Deckadressen.
    Die in Zivil reisenden Offiziere wurden bereits ab Dünaburg – also auf lettischem Gebiet – unauffällig von »Intourist«-Spezialisten betreut. So gab es dann bei der russischen Grenz- und Zollkontrolle keinerlei Schwierigkeiten – anders war es bei der Heimreise, wenn es durch die deutsche Zollkontrolle ging!
    Oberst a.D. von der Lieth-Thomsen übernahm noch 1923 den Befehl über Lipezk. Das technische Personal arbeitete inzwischen an den Flugplatzanlagen, so dass bereits 1924 die ersten 7 deutschen Fliegeroffiziere ihre Arbeit aufnehmen konnten. Es waren die die jungen Offiziere namens Diete, Droste, Hasenohr, H. Johannessohn, Hans-Joachim Rath, v. Schroeder und der spätere General der Flieger Martin Fiebig. Die erste praktische Ausbildung in Lipezk begann im Frühsommer 1925, während der planmäßige Schulbetrieb im Herbst anlief.
    Diese Schulkurse dauerten anfangs in der Regel 4 Wochen. Zwischen den einzelnen Kursen blieb eine Woche Pause.
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    Fortsetzung folgt.
    MfG Uwe

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    Die Schule war 1925 »einsatzbereit«. Kommandant der Schule wurde Major a.D. Walter Stahr vom Rw.Ministerium. Ihm zur Seite standen Hauptmann a.D. Kastner und Leutnant a.D. Johannessohn. Stabsarzt Dr. Haller war oberster Mediziner in Lipezk. Die Ausbildung der Jagdflieger leiteten Leutnant a.D. Werner Junck (im Zweiten Weltkrieg Kom.Gen. des II. Jagd-Korps) und Carl-August v. Schoenebeck (im Zweiten Weltkrieg Generalmajor).
    Leiter der Beobachtungslehrgänge wurde Major Erich Quade.
    Die Schule bestand nach einer Aufstellung des Truppenamtes vom 30.09.1926 aus Stab mit Stabsgruppe, je einem Jagdflieger- und Beobachtungs-Lehrgang, einer Jagdfliegerschule, einer Versuchsgruppe, einer Werft- und einer Depotabteilung. Die Ausrüstung an Flugzeugen belief sich an diesem Stichtag auf 34 Jagdflugzeugen (Typ Fokker), 8 Beobachtungsflugzeuge (Typ Heinkel), ferner 13 Maschinen verschiedener Baumuster, die als Versuchs- bzw. Schulflugzeuge genutzt wurden.


    Während sich die Zusammensetzung der Ausbildungskurse nur auf jeweils wenige Piloten belief, blieb das Stammpersonal konstant. Die Sommermonate, in denen der Flugbetrieb in ohne Unterbrechung durchgeführt werden konnte, zeigten im Durchschnitt 200 Offiziere und Zivilangestellte in Lipezk. Das Stammpersonal hatte eine Stärke von ca. 60 Mann, die Zahl der Ausbilder (Offz.) belief sich auf etwa 50, das technische Personal betrug zwischen 70 und 100 Mann pro Jahr.
    Die russische Luftwaffe stellte ab 1925 einen Stabsoffizier als Gehilfen für die Unterstützung des Leiters der Fliegerschule zur Verfügung. Dieser russische Offizier trug den deutschen Namen Tomsen.
    Weiter standen 20 Monteure, 14 Mechaniker, 2 Tischler, 1 Sattler, 1 Maler, 1 Schmied und 1 Schweißer der »Roten Armee« als technisches Personal in Lipezk.
    Unter den zwischen 1925 und 1933 ca. 120 ausgebildeten Piloten und ca. 100 Beobachtern befanden sich verschiedene Offiziere, die im Zweiten Weltkrieg hervorragende Leistungen erzielten. So waren neben den bereits Genannten noch der spätere Ritterkreuzträger und auch Ritter des Pour le Mérite Generalleutnant Werner Osterkamp, der spätere Oberst i.G. Friedrich-Franz v. Cramon, sowie die Ritterkreuzträger Major Joachim Schlichting und Hauptmann Wilhelm Adolf Makrocki, die gefallenen Träger des Spanienkreuzes in Gold mit Brillanten Hauptmann Harro Harder und Eberhard d’Elsa.


    Während die Ausbildung in Lipezk von Anfang an reibungslos verlief, begannen sich inzwischen die anderen beiden militärischen Einrichtungen zu etablieren. Die »Rote Armee« sagte endlich 1927 zu, dass das Truppenamt und hier die Inspektion der Artillerie, eine Gaskampfschule errichten konnte. Die russische Armee stellte eine bereits bestehende Anlage bei Saratow dem Heer zur Verfügung. Aus Tarnungsgründen erhielt die Schule die Bezeichnung »Tomka«; dies war ein fingierter Name.
    Nachdem die deutsche Armee aufgrund des Versailler Vertrages alle noch vorhandenen Gaskampfstoffe unter Aufsicht der Interalliierten Kontrollkommission zwischen 1919 und 1924 auf dem früheren Gasplatz Breloh in der Lüneburger Heide vernichten musste, gab es keinerlei Einrichtung in Deutschland, an und in der ein zukünftiger Gaskrieg erprobt werden konnte.
    Das Rw.Ministerium gründete unter Umgehung der Versailler Bestimmungen am 09.11.1923 eine Kommission für chemische Fragen und beauftragte 1924 die Inspektion der Artillerie (In 4) im TA mit der praktischen Erprobung neuer chemischer Mittel und entsprechender Kriegsführung.
    Der Schulbetrieb in »Tomka« lief nur zögernd an. Er kam erst im Gang, als 1930 – 1931 der bayerische Artilleriehauptmann Ochsner in die In 4 nach Berlin versetzt wurde und mit der Funktion eines Beauftragten für den Gaskrieg betraut wurde. Die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges (Blasangriff, Gaswerfereinsatz, Artillerieeinsatz) konnten in »Tomka« vertieft und erweitert werden. Dabei zeigte sich, dass man zwei Wege beschreiten musste: Aufbau einer Nebeltruppe und Entwicklung einer Raketenwaffe. Aufgrund dieser Erfahrungen konnte im Sommer 1933 in Königsbrück bei Dresden eine Artillerie-Abteilung aufgestellt werden, die mit 10 cm-Nebelwerfern ausgerüstet wurde. Major Hermann Ochsner wurde erster Kommandeur der Abteilung; die 2. Batterie führte Hauptmann Dr. Walter Dornberger, der spätere Schöpfer der deutschen Raketenwaffe. Ochsner wurde 1935 Chef des Stabes der neu gebildeten Inspektion der Nebeltruppe im OKH.
    Die zweite Phase in der Gasausbildung erbrachte die Entwicklung neuer Kampfstoffe auf diesem Gebiet. Hier hatten die Russen inzwischen gute Fortschritte gemacht. Deutsche Wissenschaftler, Chemiker und Techniker, wurden nach Ckalov (dem früheren Orenburg) am Ural berufen, um an der Seite der russischen Wissenschaftler mit- und weiterzuarbeiten.


    Die dritte Ausbildungsstätte deutscher Offiziere und Soldaten wurde die Panzerschule »Kama« bei Kasan am Fluss Kama. Die »Rote Armee« stellte auch hier entsprechendes Übungsgelände zur Verfügung. Die Firmen Krupp, Daimler-Benz und Rheinmetall wurden am Aufbau der neuen Anlage beteiligt.
    Die Inspektion der Verkehrstruppen (In 6) im TA kommandierte ab 1927 jüngere Offiziere zu mehrmonatigen bis 2-jährigen Lehrgängen nach Kasan. Die »Rote Armee« stellte leichte Panzerkampfwagen (Pz.Kw.) – es handelte sich um die mit einer 3,7 cm-Kanone ausgerüsteten Typen »MS I« und »MS II« – und entsprechendes Wartungspersonal zur Verfügungung.
    Die Leitung der Schule übernahm im Jahre 1927 Direktor Mahlbrand. Major Ludwig Ritter von Radlmaier von der Inspektion der Verkehrstruppen (In 6) löste ihn 1929 ab. (Radlmaier war im Zweiten Weltkrieg Kommandeur der 6. Pz.Brigade, der 4. Pz.Div. und zuletzt Feldzeug-Inspizient 5.) Letzter Kommandeur wurde im Jahre 1931 Hauptmann Josef Harpe. Harpe wurde 1935 Kommandeur der ersten Pz.Abteilung der Wehrmacht überhaupt und beendete den Zweiten Weltkrieg als Generaloberst und O.B. der HGr. A.
    Die Ausbildung junger deutscher Offiziere gestaltete sich in Kasan reibungslos. Die Vertreter der »Roten Armee« ließen den deutschen Offizieren und Technikern freie Hand und arbeiteten fast kameradschaftlich mit ihnen.
    Allerdings wurden die Teilnehmer der Lehrgänge außerhalb des Geländes ungern gesehen. Von den späteren Generälen der Panzertruppe der Wehrmacht nahmen zwischen 1927 und 1933 an den dortigen Kursen u.a. folgende Offziere teil: Wilhelm Josef Ritter v. Thoma (sp. Kom.Gen. des DAK), Richard Koll (Chef des Kfz-Wesens der Wehrmacht), Wolfgang Thomale (Chef d. Gen.St. des Generalinspekteurs der Pz.Tr.) sowie die Div.Kommandeure Theodor Kretschmer
    (17. Pz.Div.), Johann Haarde, Kraeber (beide 25. Pz.Div.), Viktor Linnarz (26. Pz.Div.); um hier nur einige Namen zu nennen.
    Die Inspektion der Verkehrstruppen kommandierte in Zusammenarbeit mit verschiedenen Betrieben der Rüstungsindustrie deutsche Ingenieure und Techniker ebenfalls nach Kasan, denen hier Gelegenheit geboten werden sollte, Eigenkonstruktionen zu entwickeln. Zu diesem Personenkreis gehörten die Oberingenieure Baumann und Dr. Mertz sowie Ingenieur Engel, die u.a. die Prototypen der Kampfwagen »P I« und »P II« entwarfen und bauen ließen.
    Deutsche Ingenieure waren gleichfalls an der Konstruktion des später legendären »T 34« beteiligt.


    Gen.Maj. v. Blomberg (der spätere Reichskriegsminister) weilte in seiner Eigenschaft als Chef des Truppenamtes 1929 einige Tage in Kasan. Der Chef der Kraftfahrtruppen, Gen.Maj. Lutz, reiste 1932 in Begleitung seines Stabschefs, Oberstlt. Guderian, nach Kasan, um sich von dem Ausbildungsstand seiner dorthin abkommandierten Offiziere zu überzeugen.
    Während also das Heer und die Inspektion der getarnten Fliegertruppe mit der »Roten Armee« sehr eng zusammenarbeiteten, kam eine solche Verbindung zwischen Reichsmarine und der russischen Flotte nicht zustande. Die russ. Admiralität strebte eine Zusammenarbeit an, stieß aber zwischen 1926 und 1933 auf strikte Ablehnung der Reichsmarineleitung.
    Eine erste Besprechung zwischen beiden Seiten wurde im März 1926 von Major Fischer vom TA arrangiert. Hierbei nahmen der russ. Militärattachée Luniev und Kapitän Oras teil. Die Gespräche ergaben schließlich, dass Konteradmiral Spindler im Auftrag der Marineleitung nach Kronstadt reiste, um Fühlung mit der russischen Marine aufzunehmen.
    Konteradmiral Spindler kehrte im Juni 1926 zurück und berichtete kritisch und abwertend über die Flotte sowie den vorgefundenen Marineanlagen in Kronstadt und Leningrad. Daraufhin ordnete Admiral Zenker, Chef der Marineleitung, an: »Nichts unternehmen!« Sein Nachfolger, Admiral Raeder, ließ sich auf keine weiteren Verhandlungen ein, so dass es zu keiner weiteren Kontaktaufnahme zwischen deutschen und russischen Stellen mehr kam.
    So wie auf marinepolitischen Gebiet war es inzwischen auf allen anderen zur Abkühlung des freundschaftlich, ja kameradschaftlichen Verhältnisses gekommen. Nach Verabschiedung des Generalobersten v. Seeckt im Herbst 1926 – einem Fürsprecher der deutsch-russischen Koalition – kam es am 16.12.1926 im Reichstag zu einer denkwürdigen Auseinandersetzung. Hier prangerte der SPD-Abgeordnete Scheidemann erstmalig die militärische Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Militärs an! Ferner sprach Scheidemann ebenfalls erstmalig die Worte von einem »Staat im Staate« aus, welches von nun an das Verhältnis zwischen der jeweiligen politischen Führung im Deutschen Reich und der Reichswehr belasten sollte.


    Die Russen selbst zeigten in dieser Zeit ihre Unzufriedenheit mit den wirtschaftlichen Gepflogenheiten der reichwehreigenen Firma GEFU. Diese Gesellschaft hatte trotz aller viel versprechenden Ansätze bisher weder zur Zufriedenheit deutscher und russischer Stellen gearbeitet und brachte bislang keinerlei Gewinne ein. Noch zur Amtszeit v. Seeckt veranlasste dieser die Auflösung der GEFU und an ihrer Stelle die Gründung einer neuen Firma mit Namen »Wirtschaftskontor GmbH«, die ausschließlich von Geldern des Rw.Ministeriums gegründet wurde, aber dann auch Unterstützung deutscher Rüstungsfirmen erhielt.
    Die finanziellen Ausgaben, die das Deutsche Reich für die 3 Ausbildungszentren in der Sowjetunion hatte, stiegen von Jahr zu Jahr. Allein für das das Flugzentrum Lipezk mussten pro Jahr 2 Millionen Reichsmark (RM) aufgebracht werden. Die Ausgaben insgesamt für Lipezk beliefen sich auf 20 Millionen RM.
    Die Inspektion der Waffenschulen (In 1), welche die getarnte Luftwaffe bearbeitete, wirtschaftete mit einem sogen. »blauen Haushalt« von jährlich 10 Millionen RM, von denen jeweils ein Fünftel in die Sowjetunion ging. Die übrigen 8 Millionen wurden für den geheimen Aufbau einer Luftwaffe im Reich benötigt.
    Diese finanziellen Ausgaben konnten selbstverständlich nur mit Wissen und Duldung der Reichsregierung, nicht des Reichstages, getätigt werden. Neben dem Reichskanzler waren jeweils nur der Reichsfinanzminister, seine beiden Staatssekretäre (darunter auch der letzte Außenminister des »Dritten Reiches« Graf Schwerin v. Krosigk) sowie der Leiter des Rechnungshofes und die Haushaltsreferenten der großen Parteien (auch der SPD!) von diesen Ausgaben in Kenntnis zu setzen, da sie ja diesen geheimen Haushalt genehmigen mussten.
    Nun wurden die Geldmittel nicht allein für die Schulung deutscher Offiziere und Techniker nach Russland transferiert, sondern mussten auch für die Ausbildung sowjetischer Offiziere in Deutschland selbst verwendet werden. Bei den 1922 getroffenen Vereinbarungen wurde auch ein Besuchsprogramm für russische Generale und Stabsoffiziere festgelegt. Major Walter Behschnitt (im Zweiten Weltkrieg u.a. Inspekteur des Wehrersatzbezirks Hannover) war als Leiter der Abteilung V in der Truppenabteilung T 3 für die Abwicklung der Truppen- und Kriegsschulbesuche verantwortlich. Seit dem Jahre 1926 wurde als Betreuer für die russische Offiziersdelegation der späteren Chefdolmetscher im Truppenamt Hauptmann Dr. rer. pol. Karl Spalcke (1940 bis 1944 Militärattachée in Bukarest) eingesetzt.


    Die ersten russischen Delegationen trafen im Herbst 1926 im Deutschen Reich ein. Befehlshaber verschiedener hoher Kommandobehörden besuchten Truppenteile im Reich, jüngere Offiziere nahmen an den Lehrgängen der Kriegsakademie teil, wo sie u.a. von Major Georg-Hans Reinhardt, dem späteren Generaloberst und O.B. der HGr. Nord, unterrichtet wurden.
    Als ranghöchster Offizier der »Roten Armee« war 1926 General Jakir, Oberbefehlshaber des Wehrbezirkes Ukraine, in Deutschland. Jakir wurde 1937 mit Marschall Tuchatschewskij hingerichtet.
    Der Marschall selbst besuchte in seiner Eigenschaft als Generalstabschef der »Roten Armee« Deutschland und wurde hierbei u.a. vom Reichspräsidenten Hindenburg empfangen. Dieser Besuch bildete u.a. einen Teil der Anklage Stalins gegen seinen besten Militär.
    Das russ. Besuchsprogramm lief ab 1931 auf Hochtouren. Allein in diesem Jahr nahmen an Truppenbesuchen und Manövern folgende Sowjetoffiziere teil: Jegorov (O.B. des Wehr-Bez. Ukraine, später Chef des Gen.St. der »Roten Armee«), Dubjenkov (O.B. des Wehr-Bez. Mittelasien), Bjelov (O.B. des Wehr-Bez. Weißrussland), Lewandowskij (O.B. des Wehr-Bez. Transkaukasien) und Primakov (stellvertr. O.B. des Wehr-Bez. Leningrad).
    Ferner nahmen an Vorlesungen der Kriegsakademie in Berlin die späteren Marschälle Timoschenko und Schukow teil.


    Der letzte russische Truppenbesuch fand im Frühjahr 1933 auf dem Tr.Üb.Pl. Jüterbog statt. Beim abschließenden Zapfenstreich standen Offiziere der »Roten Armee« Seite an Seite mit den braun uniformierten Größen des »Neuen Reiches«!
    Das Anfang 1927 abgekühlte Verhältnis zwischen den führenden Militärs der Reichswehr und der »Roten Armee« wurde 1931 wieder in Ordnung gebracht, als Oberst Fischer Chef der Abt. T 3 (Fremde Heere) im Truppenamt wurde.
    Die Verbesserung in der Zusammenarbeit zwischen der Inspektion der Waffenschulen (In 1) und der russischen Luftwaffe erfolgte gleichfalls ab Mitte 1931, als der neue Inspekteur, Generalmajor Hilmar Ritter von Mittelberger, sich mit dem neuen O.B. der russischen Luftwaffe, Baranow, in Berlin traf. Die Verbindung brachte der seit 01.02.1931 in Moskau amtierende deutsche Militärattachée Oberst Ernst-August Köstring zustande.
    Die Zusammenarbeit wurde Ende 1932 noch einmal in einer Besprechung zwischen deutschen und russischen Offizieren bekräftigt und bestätigt. Auf deutscher Seite nahmen an diesen Verhandlungen Oberstleutnant Hellmuth Felmy (zul. Befh.d.Lw. in Südosteuropa), Oberstlt. Wilhelm Wimmer (zul. Gen.d.Fl. beim O.B.d.Lw.), Oberstlt. Otto Hartmann (zul. Kom.Gen. der Sich.Truppen der HGr. A), Hauptmann Alfred Jodl (sp. Chef WFüSt.), Hptm. Hans Jeschonnek (sp. Chef Gen.St.d.Lw.), Hptm. Hans Krebs (sp. Chef Gen.St.d.H.), Hptm. Wilhelm Speidel (sp. Befh. Feld-Jg.Kdo. 1), Hptm. Karl Drum (sp. Kom.Gen. Lg. Westfrankreich) und Hptm. v. Harbou teil. Diese Offiziere waren damals 1932 Vertreter der Inspektion der Schulen (getarnte Luftwaffe), der Abteilung T 3 (Fremde Heere) und des Heeres-Waffenamtes (HWA). Mit dieser Besprechung am 21.12.1932 im Rw.Ministerium in Berlin war der Höhepunkt der Zusammenarbeit erreicht und gleichermaßen überschritten. Mit dem Antritt der neuen Reichsregierung im Januar 1933 zeichnete sich ein politischer Frontwechsel ab, der nicht mehr lange auf sich warten ließ.
    Die letzte Gruppe deutscher Flieger- und Panzeroffiziere reiste im April 1933 nach Lipezk bzw. Kasan. Im Mai 1933 besuchte die letzte Delegation des Rw.Ministeriums das Oberkommando der »Roten Armee« in Moskau. Marschall Woroschilow gab diesen Offizieren einen würdigen Empfang und ließ sie mit einem gastlichen Abendbuffet verabschieden.


    Die letzten Kurse in der Pz.Schule »Kama« und im Flugzentrum Lipezk dauerten nur noch bis August 1933.
    Mittlerweile hatten sich die Beziehungen zwischen deutschen und sowjetischen Dienststellen derart abgekühlt, dass die Russen jetzt Schwierigkeiten nach Schwierigkeiten bei der Abwicklung der Übergabegeschäfte machten. Man ließ seitens der »Roten Armee« nicht verkennen, dass man den Abbruch der Beziehungen nicht einsehen konnte. Doch im August schlossen Kasan und Lipezk endgültig ihre Tore, nachdem Saratow bereits dicht gemacht hatte. Nur mit Mühe und Not gelang es dem damaligen Oberst Guderian unter Überwindung aller möglichen bürokratischen Hindernisse, die letzten deutschen Kampfwagen vom Typ »P I« über die Grenze zu bringen. Vor 8 Jahren (1925) waren die ersten deutschen Offiziere zu Schulung nach Russland gegangen – und es sollten genau noch 8 Jahre vergehen (1941) dann fuhren oder flogen diese Offiziere wieder nach Russland, diesmal nicht als Freunde sondern als Gegner.
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