Der Tag von Romanischtsche
Von Heinz Pfeiffer, damals Hauptmann und Kommandeur der P.– Jäger– Abtl. 260
Die P. 260 hatte im August 1941 den Auftrag erhalten, die vor zwei Tagen überquerte Bahnlinie in unserem Rücken, in ihrem Südost wärtigen Verlauf nachhaltig zu zerstören und nach Möglichkeit dem schon mehrfach aus Richtung Mosyr angebraust gekommenen Panzerzug gleichzeitig das Handwerk zu legen.
Diese fahrbare Batteriestellung hatte sich bei unseren Trossen und Nachschubeinheiten unliebsam gemacht und ---da sie zusammen mit Kavallerie und scheinbar auch ausgebooteten Infanterie operierte – die kämpfenden Teile der Division praktisch von ihrer Nachschublinie getrennt. Auch das große Dorf Romanischtsche -- Für Pripjet Verhältnisse fast ein Straßenknotenpunkt – war plötzlich vom Iwan besetzt worden, wo bei den Roten u. a. einige LKW. Vom Tross des Divisionsstabes in die Hand gefallen waren.
Für Panzerjäger ein etwas ungewöhnlicher Auftrag und obendrein ein Raid in Richtung Heimat! Auf Befehl des Abteilungskommandeurs blieb die schwere Kompanie nach Austausch einiger ihrer schweren Pak französischer Beute mit 4,7 cm Kalieber gegen leichte 3,7 cm. Geschütze im erreichten Raum zurück.
Dazu alles an Menschen und Material, was zur Durchführung des Auftrags nicht unbedingt erforderlich schien.
Die Abteilung rückte bei Dunkelheit in die Bereitstellung auf einen Waldweg, mit Anfang am westlichen Rand. Eine elende Quälerei! Denn die Roten hatte diesen Weg mit Traversalsperren verziert, als wenn die bolsewistische Prominenz dort eine Christopherusjagd geplant gehabt hätte!
Aber eine Passage für die schweren Protzkw. Mit den Zigeunerkanonen dahinter musste Geschafft werden, so gut es eben ging. Der Schweiß floss in dieser etwas schwülen Sommernacht in Strömen. Seitdem sollen die Rotkitnosümpfe auch in den heißen Sommern nicht mehr ganz austrocknen.
Im ersten Morgengrauen war aber doch schon so viele freie Bahn geschaffen. Dass bereits einige Kübelwagen ---- darunter der allseits berüchtigte Stuka zu Fuß des Kommandeurs, vor dem Waldrand unter Zweigen versteckt hielten. Die Abteilung hätte wenn auch in Schrittgeschwindigkeit – diese Schikanen jetzt überwinden können, umso mehr als auch etliche der Baumstämme aus den demontierten Sperren nunmehr die Tief eingeschnittenen Fahrspuren gut ausfüllten.
Nun konnte es an sich losgehen! Die Abteilung hatte freilich die Weisung, die Wiedereinnahme von Romanischtsche durch Teile des IR. 480 und die AA. 260 abzuwarten. Dann erst sollten die Pz. – Jäg. Durch den Ort hindurch zu ihrem Vorstoß antreten.
Halblinks voraus, jenseits einer Waldkulisse, plapperte beim hell werden deutsches MG: Das waren die 480! Halbrechts mit schräger Front auf Romanischtsche konnte man im Gelände Bewegungen erkennen. Auch die Aufklärer gingen ans Werk.
Die Abteilung hielt genau auf die Lücke zwischen den beiden gegen Romanischtsche angesetzten Verbänden. Um den Gang der Kampfes verfolgen und unverzüglich das Anrollen der Abteilung veranlassen zu können ging der Kommandeur mit einer Handvoll seiner Männer als Winkerposten, zu Fuß – eine Schande für die rosa Waffenfarbe! Auf dem nunmehr zum Heideweg beförderten bisherigen Waldweg vor.
Die Gegend kam allen fast heimatlich vertraut vor, denn immerhin war man hier ja vor ungefähr 48 Stunden schon einmal gewesen.
Wie für moderne Schlachtfelder vorgeschrieben, war vom Iwan nicht zu sehen, aber auch die Sicht auf den Ortsrand von Romanischtsche war durch vorher schon erwähnte Waldkulisse, sowie einige Baum und Buschgruppen verdeckt. Das kleine Grüppchen marschierte also unbehelligt auf dem Weg weiter vor, von Zeit zu Zeit einen Mann stehend lassend, um die Sichtverbindung nicht zu verlieren. Nach der befohlenen Uhrzeit hätte der Angriff der Infanterie eigentlich anrollen müssen. Aber es rühret sich nichts, mit Ausnahme eines Drei - Mann Spähtrupps vom IR.480, der plötzlich aus der besagten Waldkulisse auftauchte.
Nach gebührender Feststellung, dass man wechselseitig kein böser Feind sei, verschwanden die Späher wieder und der Kommandeur ließ seinen letzten Winkerposten ausscheren, um die restlichen ca. 100 m bis zum Ende der Waldkulisse im Alleingang zu bewältigen. Denn von dieser Ecke aus musste Romanischtsche einzusehen sein und er musste dann auch glücken, den richtig Zeitpunkt für das Anrollen der Panzerjäger nicht zu verpassen.
Jede Menge Russenpanzer!
Die Waldecke war erreicht und wie zur Begrüßung schwoll auch der Gefechtslärm ganz beträchtlich an. Jetzt musste wohl die Infanterie angetreten sein! Zu sehen gab s auch etwas: aber keine Panjehütten von Romanischtsche und auch keine springenden Gestalten in Feldgrau! Stattdessen aber jede Menge Russenpanzer die fast parallel zur vordersten Linie, zwischen dieser und dem Ortsrand, mit einem wirklichen Affenzahn auf die Waldecke zurollten! Und in prachtvoller Ordnung: Muster Maiparade auf dem Roten Platz ! immer fünf Schaukeln in einer Linie, nickten sich durchs hohe Heidekraut! Dabei kein Kettengeräusch, Motor dröhnen und Quietschen der Treib und Lenkräder. Kein Wunder ! es waren Christie-Schnell-Tanks amerikanischer Bauart in sowjetischer Lizenz mit Gummilaufketten über 5 Zwillings- Räderpaaren und mit einer Geschwindigkeit von 45 km/h im Gelände und --- ohne die Gummiketten—von mindestens 90 km/h auf festen Straßen.
Zu ausgiebigen Betrachtung und gründlichen Vergleichen mit den Angaben im Panzererkennungsdienst blieb allerdings keine Zeit mehr, denn der vorderste Panzer war auf etwa 50m heran. Jetzt wäre ein kleines Tragbares Funkgerät richtig oder ein schönes Telefon, Elfenbein mit Korkenzieher Schnur, hätte s Notfalls auch getan! Alle möglichen Zeichen waren mit dem Winkerposten vereinbart worden, nur an einen Überraschenten Panzerstoß hatte natürliche kein Mensch gedacht!
Da gab s nur eins: kurz kehrt und zurück im Sprinterstart zurück Richtung Wald! Denn der vorderste Iwan Panzer hatte den Kommandeur auch schon im Visier, weil dieser zu allem Überfluss eine weißbebänderte Gummibrille über sein Schiffchen geschnallt hatte. Die respektlosen Roten hielten ihn wohl für einen verlaufenen Schiedsrichter aus dem letzten Manöver! Alles Zick - Zack Laufen, Hakenschlagen, und Arme wedeln fruchteten nicht, von dem Winkerposten nicht zu sehen und am Waldrand war scheinbar der Frieden ausgebrochen, so still war s dort.
Wie nur die Abteilung alarmieren? Eigentlich hätten ja die Winkerposten etwas merken müssen, denn sie kannten schließlich ihren Alten gut genug, um zu wissen, dass dieser keineswegs aus freien Stücken einen Geländelauf hinlegen würde.
Weitere Marathon Übungen erübrigten sich, denn die Lungen wollte nicht mehr und bedrohlich nahe zischten schon Feuerstöße aus zwei Maschinengewehren in Bäume und Büsche. Da blieb dem Kommandeur nur ein verzweifelter Hechtsprung in einen mangrovenartigen Sumpfbusch. Zünftige Deckung nur gab s da noch kühlende Feuchtigkeit zusätzlich, sagenhafter Dreck uns lästiger stinken tat s auch.
Der Panzer drehte ab, wohl in der berechtigten Annahme, den komischen Vogel doch noch erwischt zu haben, und schon tauchte am Waldrand die am Anfang der Kolonne eingeteilt gewesene Spitzenpak auf! Von 6 Mann gezogen und geschoben, mit geladenem Rohr und gespreizten Holmen. Und in einem Tempo, wie es auf dem Kasernenhof oder in Baumholder undenkbar gewesen wäre! Der Winkerosten hatte die Lage also doch gespannt!
Zu einer solchen Situation pflegte der Verfasser von Kriegsberichten meist zu erklären, dass sich nun alles wie auf dem Exerzierplatz, geradezu wie am Schnürchen abwickelte. Zu mindestens in diesem Fall war es doch ganz anders! Obwohl es sich auch um eine Feuertaufe handelte. Was sich im Verlauf der nächsten Stunden in einem unwahrscheinlichen Tempo und in Unbeschreiblicher Turbulenz abspielte, war schneller erledigt als alle Einzelheiten, die das Auge wahrnahm, niedergeschrieben werden könnten.
Ohne jeden Unterschied von Dienstgrad und rang wurde zugepackt und gehandelt. Offiziere schoben Fahrzeuge über Gräben und Löcher. Kurzer Hand raus auf die freie Fläche oder seitwärts in den Waldrand ins Unterholz. Die Fahrer wuchteten mit an den Geschützen im Mannschaftszug, und die Männer des I Staffel buckelten Munitionskästen. Von Aufregung oder gar Panik keine Spur—eher eine wettkampfartige, verbissene Betriebsamkeit.
Trotzdem viel Gebrüll, Gefluche, und sogar manch Gelächter---und, wenn am frühen Morgen der Schweiß schon literweise um die Traversalhindernisse floss, so wurde er jetzt in Hektolitern vergossen. Und dieses ganze scheinbare Durcheinander überdröhnt vom Ratter der Russen MGs und dem knallenden Peitschenschlag der Pak Schüsse.
Insgesamt konnten wohl nicht mehr als 5 Pak durch den tiefen Sand und verfilztes Heidekraut in Stellung gewürgt werden, d. h. sie wurden ein Stück vom Waldrand abgesetzt, einfach in die Landschaft gestellt. Eine Deckung gegen Feuer oder Sicht, oder gar Tarnung spielten überhaupt keine Rolle, nur Schussfeld und Ziele waren gefragt. Und davon gab s wirklich reichlich.
Pausenlos kurvten die Panzer mit durchschnittlich wohl 30 km/h in dem Kusselgelände herum, ohne große Abstände und Zwischenräume. Dabei frönten sie der Eigenart, stets mir nur allen Waffen stur geradeaus in ihre jeweilige Fahrtrichtung vor sich her zu Schissen. Dieser Brauch wurde von den Panzerjägern für sehr Vernünftig empfunden, denn logischerweise hatte kaum einer der Panzer den Drang Marschrichtung auf den tief liegenden und sumpfigen Waldrand zu nehmen. So boten sie dann stets ihre Flanken ungeniert zum Beschuss an. Begreiflich, das dieses unerwartete Entgegenkommen erbarmungslos ausgenutzt wurde. Der Erfolg blieb auch nicht aus: das kleine Stückchen Heide vor Romanischtsche war bald betupft mit helllodernden oder dunkel qualmenden Panzerwracks.
Natürlich erstanden auch einige weniger erfreuliche Situationen, von denen eine festgehalten zu werden verdient. Der Kommandeur hatte gerade an einer Pak, die mitten auf dem Feldweg stand, einen ROA als Geschützführer mit einer betonten leichten Zigarre versorgt, da dieser bei einem aus einer Geländefalte überraschend auftauchenden Panzer zu schnell geschossen hatte, so dass der Treffer nur an der Turmoberkante saß (er brannte aber trotzdem), als etwa 5m hinter ihnen sich ein weiterer Panzer durch ein Tännchengruppe quälte. Dieser fuhr parallel zum Waldrand, zeigte also auch seine Breitseite, und drängelte sich zwischen zwei Kübelwagen, die am Waldrand abgestellt waren. Da zeiget der ROA Uffz. Krämer aber, was er konnte: Geschütz mit geladenem Rohr 180° Grad herumgerissen, kurz gerichtet, und ---Feuer! Blattschuss zu den 4 Treffern, die man deutlich an der Kastenunterkante erkennen konnte, und die Kiste rührte sich nicht mehr vom Fleck! Sie brannte nicht wie die Mehrzahl der abgeschossenen Christie. Sonst hätte es auch allerlei Flurschaden unter den abgestellten Fahrzeugen gegeben. Wenn aber der Panzer auch nicht brennen wollte, so begann jedoch einer der beiden Kübelwagen zu kokeln. Er hatte nämlich neugierig im Weg gestanden und der saubere Treffer war zunächst diagonal durch ihn hindurch gegangen, bevor er den Panzer stoppte. Zum Glück für den ROA gehörte der Kübel nicht seinem eigenen Zugführer.
1.Teil
Kameradenhilfswerk der
260. Infanterie- Division
Mit freundlichen Grüßen
Karlheinz